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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Sein schreckliches Abschiedsgedicht aus dem April 1930 , inzwischen aus der Gnade der Stalin-Camarilla gefallen, hieß «An Alle». Das war ein verzerrtes Zitat, denn so hatte Lenins berühmtes Telegramm gelautet, mit dem er der Welt den Sieg der Revolution verkündete. Der rote Barde Majakowski hatte jene Mauser-Pistole, die er einstmals besungen – «Vorwärts, Genosse Mauser» – mit nur einer Kugel geladen. Bevor er sich die in den Kopf schoß, legte er sein lyrisches Testament nieder, in dem es heißt
    Wie man so sagt –
    «der Fall ist jetzt erledigt»,
    das Liebesboot
    ist an der Welt zerschellt.
    Schärfer ist nicht zu skandieren, wie abgewiesene Liebe mitten ins Herz trifft. Und das ist durchaus nicht unbedingt die kalte Schulter einer Schönen. Die Kälte dieser Welt bietet Eisstarre genug.
    Ich gebe ein weiteres, nur auf den ersten – oberflächlichen – Blick befremdliches Beispiel: Bertolt Brecht. Der «arme BB » war in Ostdeutschland nach der Rückkehr aus dem amerikanischen Exil 1949 ungerne aufgenommen worden, seine Arbeit galt als «formalistisch», die Zeit seines Lebens dort nie aufgeführte «Dreigroschenoper» als dekadent,
ergo
verwerflich. Erst der internationale Erfolg, vor allem der Jubel in Paris über die «Mutter Courage», verschaffte ihm Atem und Freiraum. Wohlgelitten war der Mann mit dem österreichischen Paß, dem Schweizer Konto und ohne Parteizugehörigkeit nicht. Dem «Volke» galt es, seine Experimente vorzuenthalten.
    Das Volk – in einer Zeit ohne Fernsehen und in einem Land ohne Regenbogenpresse – kannte ihn auch nicht. Die Anekdote besagt, daß er von raunzenden Volkspolizisten – Ostberlin war ja nicht Teil der DDR , es gab da eine Grenze – beim Rückweg von seinem Landsitz in Buckow bei Berlin in die Stadt aus dem Auto befohlen wurde. Er hatte seine Ausweispapiere vergessen. Auf des Stückeschreibers «Na hören Sie mal, ich heiße Brecht, ich bin Bertolt Brecht», herrschten ihn die Uniformierten an «Jut, jut, Männeken, kenn wa nich, keen Brecht oder so. Wea Se ooch sint – wir rufen nu mal det Präsidium an». Das befreite ihn wohl, aber ein anderes «Präsidium», das ZK der SED , zwang ihn, eine Inszenierung gleich nach der Premiere zurückzunehmen, zwang ihn ebenso, sein «Lukullus»-Libretto umzuarbeiten und auf Parteilinie zu bringen; wie es die «Faust»-Oper seines Freundes Hanns Eisler – immerhin Komponist der DDR -Hymne – verbot. Indes man im Westen jahrelang die Stücke von Brecht – Adenauers Außenminister von Brentano nannte ihn einen «Horst Wessel» – verbot, jedenfalls nicht spielte.
    Aber es gibt ein frühes Gedicht von Brecht, das trefflich in das Argumentationsmuster zu unserem Thema der verlorenen Liebe paßt. Es ist ja bekannt, wie stark Brecht seine Sprachmusik anlehnt an das alte Deutsch Martin Luthers. «Sie werden lachen, die Bibel», hatte er in den 20 er Jahren auf eine Rundfrage nach seinem Lieblingsbuch geantwortet. So erkennt man auch «Gnade», «Erbarmen», «Ausgezehr», «begütigen» in der Tonfolge seines Stils; in seiner großartigen Paraphrase von Shakespeares Ophelia, der «Ballade vom ertrunkenen Mädchen», singt er – als sei es Teil eines Chorals:
    Als ihr bleicher Leib im Wasser verfaulet war,
    geschah es (sehr langsam), daß Gott sie allmählich vergaß.
    Doch ich möchte ein anderes Gedicht vorführen, sein raffiniert-dialektisches «Ein Pferd klagt an», mehr Psalm als Ballade. Brecht läßt nämlich das gemetzelte Pferd um Gnade bitten für die Menschen, die sich auf das geschundene Tier stürzen, um Fleisch aus dem verendenden Gaul herauszuschneiden; einst waren sie liebevoll – «einst mir freundlich und mir so feindlich heute!» –, nun hatte Eis ihre Herzen überzogen, und es ist das Pferd, das vor dieser Kälte warnt, um Hilfe bittet, nicht für sich, für «die Leute», vor denen man Angst haben muß:
    Ich zog meine Fuhre trotz meiner Schwäche.
    Ich kam bis zur Fankfurter Allee.
    Dort denke ich noch: O je!
    Diese Schwäche! Wenn ich mich gehen lasse,
    Kann’s mir passieren, daß ich zusammenbreche …
    Zehn Minuten später lagen nur noch meine
    Knochen auf der Straße.
     
    Kaum war ich da nämlich zusammengebrochen,
    (Der Kutscher lief zum Telefon)
    Da stürzten sich aus den Häusern schon
    Hungrige Menschen, um ein Pfund Fleisch zu erben,
    Rissen mit Messern mir das Fleisch von den Knochen.
    Und ich lebte überhaupt noch und war
    gar nicht fertig mit dem Sterben.
     
    Aber

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