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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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ziselierte Eleganz Dräuen birgt. Fast möchte man an Heines Antipoden Graf Platen erinnern und dessen zagen Warnsatz:
    Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
    Ist dem Tode schon anheimgegeben.
    Schön ist nicht hübsch. Das Schöne gründet im Magma des Unerklärlichen. Das Hübsche girrt auf den Laufstegen dieser Welt, schwankender Boden der Leichtfertigkeit. Das ist der große Riß. Das ist das deutsche Mißverständnis. Man sieht das Nette, übersieht die tragische Dimension. Selbst der erlesene Schmuck, den Wunderlich – sein Wundergeschenk für Frauen, sein kunstvolles Frauenlob – entworfen hat wie vor ihm wohl nur Lalique, ist nie je Abendrobenglitzerwelt; er verleiht den Frauen Erhabenheit, eine Würde, als trügen sie Perlentränen, diamantene Trauer. Nichts von Wunderlichs Kunsthandwerk, von der deutschen Naßkämmerkritik als «mondän» oder «preziös» gebrandmarkt, in New York hingegen erst kürzlich in einer «Wunderkammer» präsentiert – nichts von diesen doppeldeutig-androgynen Leuchtern, auf Frauenbeinen schwebenden Tischen, für auch bitteren Trank bereiten Pokalen ist Kunstgewerbe eines Partylieferanten; es sei denn, man nähme die ins Schweben erhobenen Plakate eines Toulouse-Lautrec als Handschuhreklame oder die experimentierfreudigen Keramikkrüge eines Picasso für kokettes Säufergerät. Mirós Tapisserien sind keine Tischdecken.
    Und Paul Wunderlichs fast immer selbstironische Autoportraits sind keine schluchzenden Gebete. Sie zeugen jedennoch von einer großen Persönlichkeit und dem Wissen, daß die Liebe ihm nicht gewährt wurde, die ihm gebührte. Unerwidertes Angebot.
    Genau fünfzig Jahre durfte ich diese Freundschaft leben, so manches gemeinsam erarbeiten, weit über 1 000 Briefe wechseln. Sein letzter war der berührende Dank für einen Vortrag, den ich am 1 . Juni 2010 über sein Werk hielt. Die Tochter konnte ihm von meiner Mühewaltung noch nach Frankreich berichten. Am 6 . Juni, fünf Tage nach dieser, meiner nun letzten Freundschaftsbekundung, war er tot. Der große Liebesverlust. Ich habe den Tod dieses Zauberers nie verwunden.
    Dies nun ist ein ganz subjektives Beispiel. Ein
pars pro toto
. So gewiß die Kunst eines Paul Wunderlich schließlich auf einem Markt nicht bestehen konnte, der den Kitsch eines Damien Hirst hochsteigert und vor den Unsäglichkeiten eines Jeff Koons den Auktionshammer niedersausen läßt – so gewiß haben wir es nicht mit einem seltsamen Einzelfall zu tun. Vielmehr gilt es, darüber nachzudenken, daß Liebe, Liebesentzug, Versagen der Antwort namens Liebe durchaus ein gesellschaftliches Phänomen ist; so man Kunst als Teil der Gesellschaft (oder eben als ihr verworfenes Abfallprodukt) begreift.
    Wenn der farbige amerikanische Schriftsteller James Baldwin, seinerzeit die weithin hallende «Stimme der Schwarzen», die letzten – einzig glücklichen – Jahre seines Lebens in Südfrankreich lebte; wenn die große Essayistin Susan Sontag bestimmte, sie wolle nicht in ihrer Heimat Amerika beerdigt werden – und heute in der Erde von Paris ruht; wenn selbst die kommunistische deutsche Romanautorin Anna Seghers, vertrieben von den Nazis aus ihrem Land, im Alter erklärte, «die beste Zeit meines Lebens, das waren die Jahre 1933 bis 1940 in Paris»: Was genau bedeutet das? Es heißt nichts anderes, als daß ihr Liebesangebot – denn alle Kunst will die Himmel der Liebe hienieden sehen – abgewiesen wurde. Der pazifistische deutsche Publizist Kurt Tucholsky, einer der wichtigsten Warner vor Nationalismus und Militarismus in der Weimarer Republik, «Frühemigrant» schon 1924 , schrieb gleich nach seiner Ankunft in Paris in einem Gedicht:
    Hier ist es hübsch. Hier kann ich ruhig träumen.
    Hier bin ich Mensch – und nicht nur Zivilist.
    Hier darf ich links gehn. Unter grünen Bäumen
    sagt keine Tafel, was verboten ist.
    …
    Ich sitze still und lasse mich bescheinen
    und ruh von meinem Vaterlande aus.
    Wehmütig, ein wehmütiges Abschiedswinken hinüber zur fremd gewordenen Geliebten darf man das wohl nennen: Sie hieß Heimat. Die hatte den ausgespien, der auch einmal geschrieben hatte: «Denn wir lieben dieses Land.»
    Vehementer, brennender, ja: gräßlicher klingen uns in den Ohren die Zeilen eines Großen der europäischen Literatur, des Sängers der sowjetischen Revolution, des einstigen Lenin-Apologeten, der mit seinen stimmgewaltigen öffentlichen Auftritten sogar in den USA Riesensäle gefüllt hat – Wladimir Majakowski.

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