Stahlstiche
Privatkonflikte, Szenen usw., die mich sehr erschöpfen.
Erschütternd an diesem Dokument ist nicht nur der Zwist, sondern auch das Datum: 1 . Januar 1933 . Es gibt noch einen ähnlichen Brief vom folgenden Tag – und dann ist man im Exil.
Da haben wir es mit einem weiteren – ich zögere nicht zu sagen: befremdlichen Phänomen zu tun. Die Politik hat in dieser Korrespondenz voller Schnack über Schauspieler, Sottisen über Kollegen, Ehrgeizflügen ins Elysium Berlin nicht die geringste Rolle gespielt. Was ein pazifistischer Mahner wie Tucholsky, ein Bürger wie Heinrich Mann («Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg») längst dräuend heraufziehen sahen: Der Marxist Bertolt Brecht sah gar nichts. Er sieht noch immer nichts. Die Familie ist, auch in diesem Fall auf getrennten Wegen via Prag, Wien und Zürich, am Tag nach dem Reichstagsbrand geflohen; sie bleiben auch lange getrennt, die Post geht mal von Lugano nach Wien, mal von Paris nach Carona, im September 1933 arbeitet Brecht mit Margarete Steffin in Sanary-sur-Mer am «Dreigroschenroman», während Helene Weigel zu einer Rundfunkaufnahme nach Moskau reist. Brechts erster Brief aus dem Pariser Exil betrifft Preise für Fleisch, Butter, Zucker, Kaffee.
Für den Leser der Briefe flimmert ein altes, zerschlissenes Karussell, auf den Pferdchen immer dieselben Gestalten, nur die Musik quietscht. «Ich küsse Dich, liebe, alte Helli, es ist schlimm, daß ich nicht da bin», schreibt Brecht aus Paris nach Moskau und fügt hinzu «Der Roman ist fast ganz fertig» – den er mit Margarete Steffin an seiner Seite schreibt. Selbst als schließlich die tapfer-rührige Weigel mit Hilfe von Karin Michaelis die bekannte skandinavische Fluchtburg errichtet hat – Brecht kauft im August 1933 ein Haus im dänischen Svendborg –, wird noch geschummelt. Er sei noch in Dünkirchen, teilt er seiner Frau Mitte Dezember 1933 mit, «ich komme also erst am 18 .»; ungesagt bleibt, daß er mit Margarete Steffin in Dünkirchen ist und mit ihr zusammen das Schiff nach Dänemark nimmt.
Als Europa unter den Stiefeln der Nazi-Armee zusammenbricht, geht die Flucht weiter; im Mai 1941 gelangt die gesamte Brecht-Familie nach einer langen Reise durch die Sowjetunion von Wladiwostok aus mit korrekten Einwanderungsvisen in die USA . Vom Kriegsausbruch 1939 , zuvor vom spanischen Bürgerkrieg, auch von den Moskauer Stalinprozessen (immerhin war Brecht 1935 in Moskau, seine Berichte lesen sich eher wie aus einem Filmatelier), vom deutschen Überfall auf die Sowjetunion: kein Wort. Ein Unbefangener müßte den Eindruck gewinnen, Brecht habe seinen Schreibtisch nur eben mal in einem anderen Land aufgestellt. Nur einmal, als Helene Weigel sich während ihres Prag-Aufenthalts doch wieder von Brecht lösen will, gelingen ihm weniger karge Zeilen: Er lobt ihre einzigartige Schauspielkunst. Sie ist Instrument, nicht Frau.
Ansonsten sind das alles im engeren Sinne keine Briefe, so man einen Brief als andere Form des Gesprächs versteht. Es sind Mitteilungen. Auch jetzt, im amerikanischen Exil – Brecht ist sehr oft in New York, Helene Weigel bleibt in Santa Monica – im Ton «Ich fühle mich Dir sehr gewogen» vor allem Wünsche des großen Manitu: nach Fotos, Manuskriptabschriften, Liedtexten; es darf auch schon mal ein Mantel oder eine Krawatte sein. Überdeutlich wird: Bertolt Brechts Erotik, besser gesagt: seine erotische Spannkraft fließt in seine Arbeit ein. Daher die alles überwölbende Schönheit so vieler Gedichte. Er ist weltabgewandt. Er ist sein eigener Kosmos. Anfang 1943 , es tobt die Schlacht um Stalingrad, Wendepunkt des Mord- und Raubkrieges, weiß er von einem schönen Brecht-Abend in New York zu berichten, bei dem nach einer Laudatio von Wieland Herzfelde u.a. Elisabeth Bergner und Peter Lorre rezitieren. So «weltabgewandt» indes ist er nicht, daß er nicht seine diversen Affären fortsetzt – Erotik und Sexualität sind ja zweierlei. Ein erschütternder Brief (einer der wenigen
von
Helene Weigel) ist abgedruckt: Eine seiner Geliebten, Ruth Berlau, hatte im September 1944 ein Kind von Brecht bekommen, das kurz nach der Geburt starb:
Lieber Bert,
jetzt muß ich Dir schon einen Brief schreiben, weil es mir selber närrisch vorkommt, daß ich nein sage, wenn Du mit mir schlafen willst, und außerdem erstaunt mich Dein sofort auftretendes neubelebtes Interesse, wieso, nur wegen dem nein? Ich bekomme meine Gedanken nicht in eine
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