Stahlstiche
zweiten Kindes, keinen gemeinsamen Haushalt – fast nie auch nur einen gemeinsamen Aufenthaltsort. Ist Brecht in München, bleibt die Weigel in Berlin. Ist Brecht in Berlin (wo er ab November 1928 in der Hardenbergstraße 12 eine eigene Wohnung hat; alleine, mit einer Haushälterin), urlaubt die Weigel in Bayern. Selbst während der ersten Arbeit an der «Dreigroschenoper» in Saint Cyr (zusammen mit Kurt Weill im Frühsommer 1927 ) war Helene Weigel nur ganz kurz dabei; sehr rasch reiste sie an den Ammersee (wo Brecht, man wird das nicht politische Weitsicht nennen dürfen, noch 1932 ein Haus mit großem Grundstück erwarb). Bald gehen wieder Briefe hin und her; gelegentlich auch gespickt mit den typisch «listigen» Mogeleien des Stückeschreibers, der seiner Frau aus Le Lavandou nach Berlin versichert, Elisabeth Hauptmann wohne entfernt von ihm in einer Privatpension. Der bis zur Lakonie stets unpolemisch-akribische Herausgeber Wizisla merkt dazu an, Brecht und die Hauptmann «wohnten zusammen in einer hübschen Villa».
Zweierlei fällt fast schmerzend auf in dieser Korrespondenz. Brecht berichtet zwar unentwegt und oft detailliert von seiner Arbeit, von Projekten, Proben, Verlagsverhandlungen – aber die Weigel bezieht er in dies ihm Wichtigste nicht ein (fragt auch eher nach seinem Rasierapparat als nach ihrer Schauspielerei). Am 31 . August 1928 findet im Berliner Theater am Schiffbauerdamm unter der Regie von Erich Engel die sensationelle Premiere der «Dreigroschenoper» statt mit der noch heute legendären Besetzung mit u.a. Lotte Lenya, Ernst Busch, Erich Ponto, Rosa Valetti und Harald Paulsen. Ob Helene Weigel überhaupt anwesend war, geht aus den Briefen nicht hervor. Brecht ist nun ein sehr berühmter, auch ein wohlhabender Mann. Der erste Brief nach diesem Ereignis bezieht sich auf – einen Einrichtungsgegenstand: «Der Sessel muß aber schwarz, genauer gesagt: grün sein, darauf bestehe ich!» Das ist das zweite, sich durch die Jahre kontinuierlich durchziehende Element. Wenn der fast durchweg sachliche – auch schon mal besorgt nach Gesundheit oder den Kindern sich erkundigende – Ton der Briefe ins Herzliche wechselt («Ich küsse Dich»): dann ist es eher die Zärtlichkeit, die man einer Mutter, vielleicht einer Schwester entgegenbringt. Keine Spur von Begehren, von Entbehren körperlicher Wärme, von Sehnsucht nach der Frau namens «Helli». «Die Weigel», wie Brecht sie zeitlebens nennen wird, und deren Kunst, deren Gesicht, deren Schauspielerhände er später in eindringlichen kurzen Zeilen bannen wird – die Weigel ist hier eine Art Kinderbewahranstalt. Ein Kamerad ohne Leib.
Typischerweise ist es immer eine Geliebte, mit der Brecht das ihm Kostbare teilt: seine Kunst. Als er sich im November 1931 in die Amateurschauspielerin Margarete Steffin verliebt, wird sie sofort – bis in die Jahre des Exils in Dänemark, Schweden und Finnland – seine enge Mitarbeiterin und wohnt bald in unmittelbarer Nähe von Brecht in Berlin. Ein Bruch droht, Helene Weigel erwägt die Scheidung. Sie zieht nach Zehlendorf, dann nach Unterschondorf. Ein grußloser Brief – nur mit «b» unterschrieben – zeigt die entstandene Kluft und Brechts reichlich härenen Versuch zu einem rechtfertigenden Kitten:
Liebe Helli,
ich schreibe, statt zu sprechen, weil das leichter ist, gegen das Sprechen habe ich eine solche Abneigung, das ist immer ein Kämpfen. Für gewöhnlich ist es bei uns so: aus kleinen psychischen Verstimmungen, die viele Ursachen haben können und meist unaufklärbar sind, teils Mißverständnisse zur Ursache haben, teils nur die Müdigkeit oder Gereiztheit, die durch die Arbeit, also von außerhalb kommt, entsteht dann eine große undurchdringliche Verstimmung. Ich komme dann nicht heraus aus einem unlustigen und sicher quälenden Ton und DU machst abweisende oder tragische Gesichter. Ich habe nun oft gemeint, man sollte sich bemühen, das Körperliche nicht nach dem Psychischen zu richten, da es die naivere und unbelastetere Verständigung ergibt. Und auch ist es fast immer ein Mißverständnis, wenn man das Körperliche (wenn einmal etwas nicht klappt) als Ursache nimmt. Ich weiß von mir, daß ich Dir immer nah stehe darin, auch über Verstimmungen hinweg, auch während derselben. Wenn es nicht so scheint, vergiß nicht, ich lebe gerade (und meistens) in schwieriger Arbeit und schon dadurch ohne rechte Möglichkeit, mimisch usw. mich auszudrücken, und fürchte
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