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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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seine Urteile und Verurteilungen politischer Haltungen seiner Exilgefährten. Brecht war total isoliert, lebte nahezu vereinsamt. Die Notizen sind, was seine Umwelt – etwa die USA  – betrifft, durchweg enttäuschend. Die USA , wie vorher und nachher jedes andere Land, das heißt jede andere gesellschaftliche Realität, existieren in seinen Aufzeichnungen nicht. Das Exil besteht aus Kampf ums tägliche Brot, ernsthafter Arbeit an eigenen Plänen und banalem Klatsch à la «Kortner entlarvt, Lang … Nürnberg haßt Lorre». Grotesk diese Conciergeperspektive bei so einem kühlen Kopf; die Villa von Max Reinhardt, die Automobile von Thomas Mann, der Garten von Charles Laughton, die elegante Geliebte von Remarque – keine sehr ergiebigen Charakterisierungen. Das ist nicht Haß auf die besitzende Klasse (die Brecht gar nicht kennt), das ist offenbar Neid.
    Und der führt dann zu den zahllosen Banalangriffen, ob gegen Thomas Mann oder Max Horkheimer, alle leicht zu widerlegen. Nicht darum geht es im Grunde. Zu fragen ist nicht, ob Hermann Kesten wirklich Einblick in ein Manuskript verwehrt wurde – es wurde nicht; Kesten war Lektor bei Allert de Lange und hatte Brecht einen relativ hohen Vorschuß verschafft «und sonst gar nichts». Zu fragen ist, ob Brechts
politische
Attacken berechtigt sind – das «Reptil» Thomas Mann einerseits, das etablierte und vermögliche Haupt der US -Emigration; der «Speikübel» Johannes R. Becher andererseits, einflußreiche Nummer  1 der Sowjetemigration. Mit beiden Kollegen und ihrem jeweiligen Lager verbanden Brecht intime Feindschaften. Zwischen beiden steht er aber nicht nur literarisch: Thomas Manns angebliche Forderung, eine halbe Million Deutsche müßten getötet werden, ist ihm bestialisch, viehisch, kalte Züchtigung. Gleich dagegen, nur zwei Monate später ( 10 .  11 .  1943 ), findet sich die erste Eintragung, in der von dem «entsetzlichen opportunistischen Quark» die Rede ist, den er in Bechers Reform des Nationalismus sieht: «der stinkt von nationalismus. wieder wird der nationalismus der hitler ganz naiv akzeptiert; hitler hatte nur den falschen, becher hat den richtigen.»
    Das sind nicht nur zwei Formen von Klassizismus, die Brecht literarisch zuwider sind, sondern auch zwei ihm widerliche Formen, die Frage nach Sünde und Sühne der Deutschen zu stellen. Genau an diesen Stellen finden sich die entsetzlichen Eintragungen über das Bombardement deutscher Städte: «das herz bleibt einem stehen, wenn man von den luftbombardements berlins liest. da sie nicht mit militärischen operationen verknüpft sind, sieht man kein Ende des Kriegs, nur ein ende deutschlands.»
    Jetzt sind häufiger und häufiger Bilder von den Trümmerwüsten Hamburgs und Berlins in das Journal eingeklebt; denn wie eine eigene Zeitung, eine Privatvariante der einst von ihm geschätzten AIZ («Arbeiter Illustrierte Zeitung»), die vor allem Freund Heartfields Fotomontagen prägte, wirkt es gelegentlich – Fotos, Zeitungsartikel, Karikaturen sind optische Argumente dieses schweigenden Gesprächspartners, so etwa die AP -Nachricht, das vollständige Wegradieren Berlins würde jeden US -Bürger 18 , 75  Dollar kosten.
    Hier liegt neben der kunsttheoretischen Debatte das zweite – gäbe es das – Zentrum dieses Dokuments; in Wahrheit sind beides eben zwei Aspekte derselben Sache, ist
ein
Zentrum: Brechts Politik- wie Kunstbegriff. Ob bei der heftigen Diskussion später über das «Faust»-Drama des Freundes Hanns Eisler, ob in den Notizen zur Barlach-Ausstellung oder schließlich seine Bemerkung zum 17 . Juni 1953 (Brecht wollte seinem geplanten Stück über den Aktivisten Hans Garbe einen Akt über den 17 . Juni einfügen): Sein Politikbegriff ging auf in seinem Ästhetikbegriff. Deshalb nicht: «Heimat, deine Sterne.» Deshalb: «Deutschland, bleiche Mutter». Mutter ist im Sinne von Blochs Materiebegriff «matrix – mater» Brechts Topos für Revolution, also Veränderung – auf dem Theater wie in der Realität.
    Das kann man artistisches Prinzip nennen, es hat aber leicht auch etwas Künstliches – genau das, was er anderen, vorzüglich Adorno und Horkheimer, vorwarf: etwas Tui-haftes. Alles ist bei Brecht Denkspiel. Er hat in seinem Leben nie einen Arbeiter gesehen (außer Bühnenarbeiter). Der Begriff kommt lediglich in Vermutungs- oder Hoffnungsverbindungen vor: «die arbeiter, höre ich …», «die arbeiter sollten doch …» Der Mann, der sich so amerikanisch

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