Stahlstiche
gab, vom Sorabaya-Johnny bis zur Chicagoer Weizenbörse, der so gerne vom Kai sang und von Bilbao, hat nie Chicago gesehen (das nun «nebenan» lag), geschweige denn irgendeine Börse der Welt, einen Hafen, eine Fabrik. Egon Erwin Kisch war in die Fabriken, Puffs oder Dschunken gekrochen – BB hat sie besungen. Er konnte nicht einmal Englisch. Zwar spricht die erste amerikanische Eintragung bereits flott von einem gemieteten «flat» – aber am Tage vor seiner Abreise aus dem ungeliebten Land, im traurigen Verhör vor dem US -American Activities Committee, radebrechte er; nicht, wie es eine alberne Weihefama will, aus «List». Tatsächlich haben wir es mit einem «umgedrehten» Lehrstück zu tun, einer Inszenierungs-«Verdrehung» im Sinne der Oscar Wildeschen Ästhetik: Der zufolge ahmt ja das Leben die Kunst weit mehr nach als die Kunst das Leben.
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Schwierigkeiten beim Sprechen der Wahrheit
Bertolt Brecht vor dem Komitee zur Untersuchung unamerikanischen Verhaltens
Als Uraufführung von Brechts «Leben des Galilei» wird oft Joseph Loseys Inszenierung vom 30 . Juli 1947 in Los Angeles genannt, in der Charles Laughton den Galilei spielte, obwohl bekanntlich schon im September 1943 Leonard Steckel am Schauspielhaus Zürich die sogenannte erste Fassung des Stückes inszenierte (und selber die Hauptrolle spielte), das Brecht im dänischen Exil 1938 / 39 geschrieben hatte. Dieser Vorzug, den man so häufig der amerikanischen Aufführung angedeihen läßt, hängt vielleicht nicht nur mit dem Namen Charles Laughton zusammen, sondern wohl auch mit der Tatsache, daß Brecht mit Laughton gemeinsam eine zweite, die sogenannte amerikanische, Fassung des Stückes schrieb und daß es diese Fassung war, die – von Brecht selber rückübersetzt – ihm als Text für seine Einstudierung des Stückes zur berühmten Aufführung vom 15 . Januar 1957 im Theater am Schiffbauerdamm diente. Die Brecht-Schülerin Käthe Rülicke hat seinerzeit im 2 . Sonderheft von «Sinn und Form» einen aufschlußreichen Aufsatz über die Unterschiede zwischen den drei Fassungen sowie Brechts Kommentare dazu veröffentlicht.
Was wenig bekannt und durch eine sensationelle Schallplatte der amerikanischen Folkways Records Corporation erst nachzuholen war, ist, daß Bertolt Brecht selber, auf den Tag genau drei Monate nach der Aufführung im Coronet Theatre von Los Angeles, den Galilei spielte. Der Text allerdings war nur zu Teilen von ihm, das Theater war kein Theater, sondern ein Raum im Old House Office Building in Washington, D. C., und die Regie hatten Funktionäre des HUAC (zu deutsch: des Komitees zur Untersuchung unamerikanischen Verhaltens).
Die Schallplatte also bringt den unwesentlich gekürzten Text vom Verhör des Bertolt Brecht – und es ist kein Hörspiel! Mit Recht spricht Eric Bentley, der die Platte vorstellt und Zwischenkommentare gibt, von einer Brechtschen Tragikomödie (ein Begriff, den Brecht typischerweise in seinen Anmerkungen zum «Galilei» erörtert). Versucht wäre man, nach mehrmaligem Anhören der Platte, von einer kläglichen Tragödie zu sprechen. Die
dramatis personae
: Brecht wurde am Donnerstag, dem 30 . Oktober 1947 , verhört (und verließ 24 Stunden später die USA ). Vor ihm waren im Rahmen einer Art «Filmwoche» unter anderem verhört worden: die Hollywoodproduzenten Jack L. Warner, Louis B. Mayer und Walt Disney, die Stars Gary Cooper und Robert Montgomery, die Drehbuchautoren Ring Lardner, Alvah Bessie und Dalton Trumbo (Verfasser eines der hervorragendsten Antikriegsromane: «Süß und ehrenvoll»). Unter den Beisitzern des Komitees fällt ein Name auf: Richard M. Nixon. An dem Namen des Vorsitzenden, Mr. G. Parnell Thomas aus New Jersey, fällt auf, daß er zwei Jahre später im Zusammenhang mit einem Bestechungsskandal auftauchte: Der Vorsitzende dieses Ehrengerichts wurde ins Gefängnis geworfen. An Mr. Stripling, der das Verhör führt, fällt auf, daß er überhaupt nicht weiß, wen er verhört. Kein Brecht-Schauspieler könnte so blechern-hohl, unbeteiligt und doch «ganz Anklage» den Beklagten aufrufen: In der Art, wie Stripling beginnt, «Mr. Bertolt Brecht», liegt bereits alles, vor allem der Ausgang des «Gesprächs». Und der arme BB ? Was fällt an ihm auf? Nichts. So sehr nichts, daß der Wunsch, nicht aufzufallen, wie eine Fanfare durch den Sitzungssaal gegellt haben muß. Zaghaft, leise, verschüchtert erscheint der Mann, den man lieber als «Jahrhundertkerl»
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