Stahlstiche
Aufsatz in «Internationale Literatur», Heft 5 , Moskau 1937 , zeigt allerdings deutlich, daß es sich keineswegs um ein Interview handelt, sondern um einen Aufsatz Tretjakows; er zeigt außerdem, daß Stripling Passagen wegließ, ohne darauf hinzuweisen. Was aber vor allem nicht gesagt wurde, war, daß Tretjakow noch 1937 in Moskau wegen Trotzkismus angeklagt wurde und «verschwand».
Ein gespenstisches Schattenboxen, nur – «den im Schatten sieht man nicht»; denn natürlich gibt es gesammeltes Material, und die Frage «Wann haben Sie Hanns Eisler gesehen?» ist rhetorisch, weil Datum und Uhrzeit vom Verhörenden – Resultat einer offenbar langjährigen Überwachung – genau angegeben werden. Verwunderlich, daß Brecht nicht die Geduld riß und er nicht sagte: «Wenn Sie’s so genau wissen, warum fragen Sie mich?» Aber das ist wohl Literatur, wohlgedacht und wohlgesetzt; es ist leichter, den «Mantel des Ketzers» zu schreiben und Situation wie Verhalten unter der Inquisition zu erinnern, als vor der Inquisition zu stehen. Man muß sich ja vergegenwärtigen, daß bereits der Name Eisler damals ein Tabu-Wort war, denn des Komponisten Bruder Gerhart Eisler war von seiner Schwester Ruth Fischer in den USA als «gefährlichster Terrorist, der imstande wäre, der GPU Frau, Kind, Schwester und engste Freunde auszuliefern», denunziert worden. Gerhart Eisler – er galt als Verbindungsmann der Internationale zur KP der USA – wurde wegen Paßvergehen und Verächtlichmachung des Kongresses verurteilt; er floh an Bord eines polnischen Schiffes illegal aus den Vereinigten Staaten (und lebte später als Propagandastar und Leitartikler der «Berliner Zeitung» in Ostberlin). Der 1964 verstorbene Hanns Eisler hatte viele Texte von Brecht musikalisch interpretiert («Sinn und Form» widmete ihm zu Lebzeiten ein Sonderheft, wie nur Brecht und Becher) und galt als einer seiner engsten Mitarbeiter und Freunde. Er hatte auch die Musik zu «Hangmen also die», dem einzigen Film geschrieben, der von Fritz Lang 1942 in Hollywood nach Motiven von Brecht gedreht wurde.
Die Frage nach den Brüdern Eisler und nach dem sowjetischen Vizekonsul in San Francisco, Grigory Kheifets, war höchst bedrohlich, denn Kheifets wurde mit J. Robert Oppenheimer in Verbindung gebracht, übrigens am selben Tage in einem anderen Verhör desselben Komitees; es war quasi der Beginn des Falles Oppenheimer. Ob der das «Kleine Organon» des Bertolt Brecht gelesen hatte? Dort endet der Abschnitt 63 , in dem der «Galilei» behandelt wird, so: «Eine bedeutsame Prüfung steht bevor, und macht nicht jedes Versagen ein weiteres Versagen leichter?»
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Das große Weib Welt
Über Brechts Arbeitsjournale 2
Brechts Stärke wie Schwäche – und das Arbeitsjournal führt beides eklatant deutlich vor – war seine Privatmoral. Das ist das Merkwürdige, Beunruhigende, ja gelegentlich Verstörende dieser Bände aus dem Nachlaß: Die Antwort auf die Frage «Wer war Bertolt Brecht?» wird verweigert. Das Motto, «daß diese aufzeichnungen so wenig privates enthalten, kommt nicht nur davon, daß ich selbst mich für privates nicht eben sehr interessiere …» – ist das nun wieder Mimikry, oder stimmt es einfach? Das Ergebnis, Musterbeispiel großer Prosa, war fraglos zur Veröffentlichung gedacht: Das Gegenteil anzunehmen hieße, ein unzumutbares Quantum Naivität bei Schreiber wie Leser vorauszusetzen. Deshalb liest man so bohrend, forscht so hartnäckig die Verstecke des Mannes aus, dessen Anna Fierling vor der eigenen Tochter warnt: «Die leidet an Mitleid.» Das ist die verletzliche Behutsamkeit, die Brecht hat: –
auch
hat? Schon seine Bemerkungen zu Dichtern wie d’Annunzio oder Pound lassen aufhorchen. Qual, tiefer fast als erträglich, zeigen die künstlich-lapidaren zwei Worte «gretes todestag». Abschied von der geliebten Margarete Steffin.
Gedanken zu sich, morose Gedanken gar, hängen bei Brecht immer mit Natur zusammen; in seinem Werk sind Naturbegriffe immer Kurzchiffren für gesellschaftliche Prozesse, ob Baum, Wasser, Pferd; meist im Gedicht übrigens. So ist es auch kein Zufall, daß aus der privaten Eintragung «was ich gerne mache, ist das wässern des gartens … man entdeckt so viel grünes in der erde, wenn man erst einmal zu gießen anfängt» das Gedicht «O Sprengen des Gartens, das Grün zu ermutigen» wurde. Von solcherlei Genesis gibt es wenig im Arbeitsjournal, eher von Fluchtgedanken, die keinen Herrn Ziffel
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