Stahlstiche
sähe, kein Dimitroff, der die Ankläger zu Angeklagten macht, sondern ein des schneidenden Dialogs nicht fähiger Grübler, eher ein Hedonist fast, ein Galilei, zu dessen Zeiten «es schimpflich geworden war, etwas zu entdecken».
Brecht hat sich ja immer geweigert, die Gestalt des Galilei als moralische Fragestellung zu erörtern, selbst in seinem Text «Preis oder Verdammung des Galilei?» weicht er aus, stellt ebenfalls zögernd die Frage, beantwortet sie aber nicht:
Es wäre eine große Schwäche des Werkes, wenn die Physiker recht hätten, die mir – im Ton der Billigung – sagten, Galileis Widerruf seiner Lehre sei trotz einiger ‹Schwankungen› als vernünftig dargestellt mit der Begründung, dieser Widerruf habe ihm ermöglicht, seine wissenschaftlichen Arbeiten fortzuführen und der Nachwelt zu überliefern. In Wirklichkeit hat Galilei die Astronomie und die Physik bereichert, indem er diese Wissenschaften zugleich eines Großteils ihrer gesellschaftlichen Bedeutung beraubte.
Andererseits weiß man, daß er gerade an der 13 . Szene, der Schlußszene (der Bühnenfassung; im Buch ist es Szene 14 ), immer wieder gearbeitet hat, er notierte schon am 23 . November 1938 in seinem Tagebuch: «Die einzigen Schwierigkeiten bereitete die letzte Szene.» Er erzählt auch später von der kalifornischen Aufführung, daß diese Szene besonders berührt habe, also das Bild vom schmatzenden, löffelnden Greis, der sich aufgegeben hat und die «Discorsi» nur noch aus Eitelkeit herausgibt. Brecht ist so eingeschüchtert, daß er nicht einmal sein Geburtsdatum richtig sagen kann, daß er – nach mehr als sechs Jahren Aufenthalt in den USA – bereits nach drei Antworten um einen Dolmetscher bittet; der Verfasser von «Sorabaya Johnny», von «Happy End» und «Mahagonny», der Shakespeare-Bearbeiter und Joseph-Conrad-Verehrer spricht tatsächlich ein nur mühsam verständliches, gebrochenes und falsches Englisch, muß den Dolmetscher – ist Sprache Denken? – nach dem Wort «Agitator» fragen.
Natürlich benutzt Brecht diese Schwäche ganz bewußt; es ist ohnehin das Komische an dieser Tragödie und das Häßliche zugleich, daß man hört, wie ein kluger Mann schlau sein will, was ihm schließlich im Verlauf des Verhörs nur an unwichtigen Punkten gelingt, während mühelos über die Runden kommt ein vollkommen dummer Mensch, der nicht nur nichts von Brecht und Literatur versteht, was verzeihlich wäre, sondern auch nichts von Politik, Faschismus oder Marxismus, was ihn zwei Jahre nach dem Krieg in einem Komitee, das die Röteln im amerikanischen Movie-Business herausröntgen will, untauglich macht. Aber auch sprachliche Schwierigkeiten sollten nicht zu Dialogen führen, die einer Ergebenheitsadresse, zumindest einer Beteuerung bedenklich nahekommen:
Mr. Stripling: Mr. Brecht, did you ever make application to join the Communist Party?
Mr. Brecht: I do not understand the question. Did I make …
Mr. Stripling: Have you ever made application to join the Communist Party?
Mr. Brecht: No, no, no, no, no, never.
Man hat nicht den Eindruck, daß Brechts in diesem Fall sehr berühmte Dialektik die Herren Verhörer wirklich von der Überzeugung abbringen konnte, es mit einem gefährlichen subversiven Element zu tun zu haben. Da doch die Segel gesetzt waren, da Brecht ja ohnehin vorhatte, Anfang November zu reisen, und auch nicht amerikanischer Staatsbürger war oder werden wollte, warum dann Beteuerungen, die, das Wort sagt es, immer überzahlt werden? Der Streit um die Zeile «Du mußt die Führung übernehmen» in «Lob des Lernens» aus seiner Bearbeitung von Gorkis «Mutter» klingt müßig: ob es nun
you must take over
oder, wie der auch nicht gerade brillante Übersetzer vorschlug,
you must take the lead
oder richtig
you must take the leadership
heißt – so neutral, wie es der schlaue Angeklagte plötzlich will, klingt es nie und wollte er’s ja auch nie klingen lassen. In den Ohren eines Amerikaners mußte sich diese Zeile besonders umstürzlerisch ausnehmen, geschrieben von einem, der bei der Einreise versichert hatte, er wolle die Regierung nicht stürzen; daß der Vers schon aus dem Jahr 1932 stammte, war kein mildernder Umstand. Als ihm eine scheußliche, weil den Reim erhaltende, dem Wortsinn nach richtige Übersetzung des Solidaritätslieds vorgelesen wird und man ihn fragt: «Haben Sie das geschrieben?», sagte er: «Nein. Ich habe ein deutsches Gedicht geschrieben, das sich von
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