Stalingrad
Zwei kleine akkurate Löcher in der rechten Seite des Bauches. Ich begreife, daß er sterben muß. Er wendet den Kopf nach meiner Seite. Seine Lippen bewegen sich, murmeln etwas. Ich kann nur verstehen: »Genosse Leutnant … Genosse Leutnant …« Mir scheint, er hat mich doch erkannt. Dann wirft er den Kopf zurück und hebt ihn nicht mehr. Er stirbt ganz ruhig, hört einfach auf zu atmen.
Ich drücke ihm die Augen zu. Sein strenges, plötzlich langgewordenes Gesicht bedecke ich mit seiner Mütze.
Er hat den Tod sehr gefürchtet …
Es fängt an zu schneien. Erst nur ein klein wenig, dann kommen große zottige Flocken. Alles wird plötzlich ringsherum weiß – die Erde, die liegenden Menschen, die Brustwehr der Gräben. Hände und Füße fangen an zu frieren, die Ohren auch … Ich schlage den Kragen hoch.
Die Deutschen schießen. Unsere antworten. Die Kugeln pfeifen über meinem Kopf.
So liegen wir, ich und Charlamow – er kalt, ausgestreckt, mit Schneeflöckchen auf den Händen, die nicht tauen. Meine Uhr ist stehengeblieben. Ich kann nicht feststellen, wie lange wir liegen. Hände und Füße schlafen ein. Der Krampf kommt wieder. Wie lange kann man so liegen? Vielleicht sollte ich einfach aufspringen und laufen? … Dreißig Meter – im höchsten Falle fünf Sekunden – bis der Maschinengewehrschütze sich besinnt. Sind doch morgens dreizehn Mann herausgestürmt …
Im Nachbartrichter regt sich etwas. Auf dem weißen Schnee, der schon zu tauen anfängt, bewegt sich der graue Fleck einer Ohrenklappenmütze. Für eine Sekunde taucht ein Kopf auf. Verschwindet. Zeigt sich wieder. Dann plötzlich springt ein Mensch aus dem Trichter hoch und läuft. Läuft schnell, schnell, die Hände an die Seiten gepreßt, gebückt, und wirft die Beine hoch.
Er legt drei Viertel des Weges zurück. Bis zu den Gräben bleiben lediglich acht bis zehn Meter. Das Maschinengewehr mäht ihn nieder. Er macht noch einige Schritte und fällt mit dem Kopf vornüber. So bleibt er liegen, drei Schritt von unseren Gräben entfernt. Einige Zeit noch zeichnet sich sein Mantel auf dem Schnee ab, dann wird auch er weiß. Die Flocken fallen und fallen …
Später laufen noch drei. Einer in einer kurzen Jacke. Wahrscheinlich hat er den Mantel abgeworfen, um besser laufen zu können. Er wird getroffen, als er schon beinahe auf der Brustwehr ist. Der zweite – in einigen Schritten Entfernung von ihm. Dem dritten gelingt es, in den Graben zu springen. Das Maschinengewehr auf der deutschen Seite sendet noch lange Kugel auf Kugel dorthin, wo der Soldat verschwunden ist. Mit dem Stiefelabsatz grabe ich eine Vertiefung im Trichter. Jetzt kann man wenigstens die Beine ausstrecken. Noch eine Vertiefung für Charlamows Beine. Sie sind schon steif geworden und lassen sich nicht im Kniegelenk biegen. Irgendwie schiebe ich sie dennoch hinein. Jetzt liegen wir nebeneinander, der Länge lang ausgestreckt. Ich auf der Seite, er auf dem Rücken. Es macht den Eindruck, als ob er schliefe, das Gesicht durch die Mütze vor dem Schnee geschützt. Die Arbeit erwärmt mich ein wenig. Ich drehe mich auf die linke Seite, um Charlamow nicht zu sehen. Grabe mir eine Höhlung unter der Hüfte – so liegt sich’s bequemer. Jetzt ist es gut. Wenn nur unsere Fernartillerie auf die vordersten deutschen Stellungen kein Feuer eröffnet … Und rauchen möchte ich … Und wären es auch nur drei Züge. Ich habe meinen Tabak bei Schirjajew im Unterstand vergessen. Nur die Streichhölzer rascheln in der Tasche.
Ich bin müde. Der Schnee taut unter mir. Der graue Staub verwandelt sich in Schmutz. Die Knie sind naß, ich friere am Kopf. Ich nehme Charlamow die Mütze ab und bedecke sein Gesicht mit dem Taschentuch. Putze die Pistole, um nicht einzuschlafen. Es stellt sich heraus, daß nur vier Patronen darin sind. Ein Reservemagazin habe ich nicht.
Wie spät mag es jetzt wohl sein? Wahrscheinlich schon nach zwölf … Dunkel wird es erst um sechs. Noch sechs Stunden liegen müssen … Sechs Stunden, eine ganze Ewigkeit …
Ich lasse die Ohrenklappen herab und schließe die Augen. Der Teufel hol’s! Komme, was da mag …
Der Schlaf kommt nicht. Mir scheint es die ganze Zeit, als ob Charlamow sich hinter meinem Rücken bewege. Mir fällt ein, daß ich ihm seine Papiere abnehmen muß. Das ist nicht so leicht. Er pflegte sie in der hinteren Hosentasche zu tragen. Ich entsinne mich, daß er die Kandidatenkarte aus der Gesäßtasche herausnahm, als er die Parteibeiträge
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