Stalingrad
genau noch so ruhig und beherrscht, nur die Nasenflügel beben.
Abrossimow läuft rot an.
»Ich werde dir was erklären!« Er greift zur Pistolentasche. »Marsch, zum Angriff!«
Ich fühle, wie es in mir kocht. Schirjajew atmet schwer, den Kopf vornübergebeugt, die Hände zu Fäusten geballt.
»Marsch, zum Angriff! Hast du gehört? Noch einmal wiederhole ich es nicht …«
In seinen Händen hält er die Pistole. Seine Finger sind ganz weiß, völlig blutleer.
»Ich werde in keinen Angriff gehen, ehe Sie mich nicht angehört haben«, sagt Schirjajew mit zusammengebissenen Zähnen, jedes Wort schrecklich langsam aussprechend.
Einige Sekunden blicken sie einander in die Augen. Gleich werden sie sich aufeinander stürzen. Ich habe Abrossimow noch niemals so gesehen.
»Der Major hat mir befohlen, diese Laufgräben dort zu erobern. Ich habe mit ihm verabredet …«
»Bei der Armee verabredet man sich nicht, sondern führt Befehle aus«, unterbricht ihn Abrossimow. »Was habe ich Ihnen am Morgen befohlen?«
»Angreifen.«
»Wo ist Ihr Angriff?«
»Steckengeblieben, weil …«
»Ich frage nicht, warum.« Und wieder plötzlich von Wut übermannt, fuchtelt er mit der Pistole in der Luft. »Marsch, in den Angriff! Werde euch als Feiglinge niederschießen … Befehle nicht auszuführen!«
Mir scheint, als ob er gleich hinfallen und sich in Krämpfen winden wird.
»Alle Offiziere nach vorn … Und du selber nach vorn. Ich werde euch zeigen, was das heißt, seine Haut zu retten … Redet von Laufgräben! … Drei Stunden ist es her, daß der Befehl erteilt wurde …«
Ich kann das nicht mehr mit anhören. Ich drehe mich um und gehe fort.
24
Die Maschinengewehre zwingen uns, sofort Deckung zu nehmen.
Der neben mir laufende Soldat schlägt längelang hin, mit weit ausgebreiteten Armen. Ich springe in einen frischen Trichter, der noch nach Explosion riecht. Ich werde mit Erde überschüttet. Jemand springt über mich hinweg. Er fällt auch hin. Kriecht zur Seite, schnell, schnell die Füße bewegend. Die Kugeln pfeifen direkt über der Erde, schlagen in den Sand ein, heulen auf. Ganz in der Nähe schlagen Granaten ein.
Ich liege auf der Seite, zu einem Häufchen zusammengerollt, die Füße ans Kinn gezogen. In der rechten Hand halte ich die Pistole. Sie ist ganz mit Sand bedeckt. Am Abend hat Walega sie dick eingefettet. Ich habe vergessen, sie morgens abzuwischen. Niemand schreit mehr »Hurra«.
Wo ist Schirjajew? Wir sind fast gleichzeitig aus den Gräben gesprungen. Ich bin gestolpert und habe mit der linken Hand etwas Eisernes ergriffen, das aus der Erde herausragte. Dann sah ich seinen Mantel vor mir, etwas weiter rechts. Ein großer, leuchtender gelber Fleck darauf fiel sofort ins Auge.
Die deutschen Maschinengewehre verstummen nicht eine Sekunde. Man kann ganz deutlich unterscheiden, wie der Soldat das Maschinengewehr schwenkt – in Fächerform von rechts nach links, von links nach rechts.
Mit aller Kraft presse ich mich an die Erde. Der Trichter ist ziemlich groß, aber die linke Schulter guckt, so scheint es mir, dennoch heraus. Ich grabe mit den Händen die Erde aus. Sie ist durch den Einschlag aufgelockert und gibt ziemlich leicht nach, aber nur die obere Schicht, darunter folgt Lehm. Fieberhaft wie ein Hund scharre ich in der Erde.
Krach! Eine Granate. Ich werde ganz mit Erde überschüttet.
Krach! Eine zweite. Dann eine dritte, vierte. Ich schließe die Augen und höre auf zu graben. Sie haben wahrscheinlich gemerkt, wie ich die Erde hinauswarf.
Ich liege und halte den Atem an. Links von mir stöhnt jemand. A-a-a-a! … Weiter nichts, nur A-a-a-! … Gleichmäßig, ohne jegliche Betonung, in gleichbleibender Tonhöhe. Ich weiß nicht, wie lange ich so liege. Ich fürchte, mich zu bewegen. Der Mund ist voll Erde. Außer Erde sehe ich nichts. Von oben – grau, fein wie Puder; unten Lehm, rötlichbrauner, rissiger Lehm. Weder Gras noch Äste, nur Staub und Lehm. Wenn wenigstens ein Wurm darin kröche. Wenn ich den Kopf drehe, ist der Himmel sichtbar. Auch er ist glatt, grau und unfreundlich. Wahrscheinlich wird es Schnee oder Regen geben, eher Schnee, ich friere an die Zehen.
Das Maschinengewehr fängt an, mit Unterbrechungen zu schießen, aber immer noch flach über die Erde hin. Ich verstehe gar nicht, wie es kommt, daß ich noch heil, nicht verwundet, nicht tot bin. Aus fünfzig Meter Entfernung ein Maschinengewehr zu stürmen, das ist der sichere Tod. Als erste sind Schirjajew, Karnauchow,
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