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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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zieht die Füße hoch, schnauft. Raucht schweigend, das Kinn auf die Knie gestützt.
    »Abrossimow wird vor Gericht gestellt werden, heißt es«, sagt er finster und spuckt über die Knie hinweg auf den Boden.
    »Wer hat das gesagt?«
    »Der Schreiber Ladygin hat es gehört.«
    »Ein Schwindler …«
    »Ein Schwindler, aber nicht immer. Weiß sich trotzdem immer bei den Vorgesetzten lieb Kind zu machen.«
    »Warst du im Stab?«
    »Ja.«
    »Was ist dort los?«
    »Nichts. Wie immer. Astafjew malt die Zeichnungen bunt. Hat nur gefragt, wieviel Mann wir haben. Hab ihn angelogen, hab gesagt: nur zwölf. Bei ihm muß man auf der Hut sein. Schreiberseele.«
    »Hast du den Major gesehen?«
    »Er ist auf eine Minute hereingekommen. Traurig, finster, hat sich die Verlustliste von Ladygin geholt …«
    »Trinken möchte ich jetzt …«
    Am Abend hält mich der Major in der Offizierskantine an. »Bereite dich auf morgen vor, Ingenieur …«
    Ich verstehe ihn nicht.
    »Worauf?«
    Der Major pafft seine Pfeife, hört nicht. Er ist abgemagert und blaß.
    »Worauf?« wiederhole ich.
    Langsam hebt er den Kopf.
    »Du mußt davon erzählen … wie alles war … dort auf der Anhöhe.« Er geht fort, auf den Stock gestützt. Er hinkt bis zum heutigen Tage.
    Ich frage nicht mehr. Mir ist alles klar.
    Ladygin, der Stabsschreiber, die erste Klatschbase im Regiment, erzählt, daß man den Major und Abrossimow in den Divisionsstab gerufen hätte. Drei Stunden wären sie dort geblieben. Hinterher habe sich Abrossimow in seinen Unterstand eingeschlossen und sei bis jetzt nicht herausgekommen, habe Mittag- und Abendbrot zurückgeschickt.
    »Seine Ordonnanz hat sich im Verpflegungslager herumgetrieben, ist dann im Trab in den Unterstand gerannt, hat die Taschen mit den Händen festgehalten. Am Morgen war gerade Wodka angekommen.«
    Er zwinkert mit seinen frechen grünen Augen.
    25
    Ich komme zu spät zur Gerichtssitzung. Der Major spricht bereits.
    In dem Rohr, das den Unterstand des zweiten Bataillons bildet – es ist der größte Raum in unserem Abschnitt –, ist es so rauchig, daß man kaum die Gesichter unterscheiden kann. Abrossimow sitzt an der Wand. Seine Lippen sind weiß und trocken und fest zusammengepreßt. Die Augen starren die Wand an.
    Astafjew – als Sekretär – knistert mit den Papieren, blättert die Bogen um und probiert die Tinte an der Ecke eines Blattes aus. Neben ihm sitzen noch zwei: der Chef der Aufklärung und der Chef der Panzerjägerkompanie. Es ist ein Ehrengericht. Der Major steht da, die Hände auf den Tisch gestützt. Er ist in diesen vierundzwanzig Stunden um zehn Jahre gealtert. Von Zeit zu Zeit hebt er ein Glas Tee an die Lippen und trinkt mit kleinen, nervösen Schlucken. Er spricht leise, so leise, daß es am Ende des Rohres nicht zu hören ist.
    Ich dränge mich nach vorn durch.
    »Man kann im Kriege nicht ohne Vertrauen auskommen!« sagt er. »Tapferkeit allein ist zuwenig. Auch Wissen genügt nicht. Man muß noch den Glauben haben. Den Glauben an die Menschen, mit denen man gemeinsam kämpft. Ohne den ist es unmöglich …«
    Er hakt den Kragen auf. Im Rohr ist es heiß. Mir scheint, als ob seine Finger, die die Haken öffnen, leicht zittern.
    »Ich bin mit Abrossimow einen langen Weg gegangen, einen langen Kampfweg: Orjol, Kastornaja, Woronesh … Und wie lange halten wir uns schon hier … Ich hatte Vertrauen zu ihm. Ich wußte, daß er jung und unerfahren ist, vielleicht erst im Kriege lernen müßte, ich wußte, daß er Fehler machen könnte – wer von uns hätte keine gemacht? Aber Vertrauen hatte ich zu ihm. Es ist unmöglich, seinem Stabschef nicht zu vertrauen.«
    Er wendet den Kopf zu Abrossimow und sieht ihn mit einem langen, schweren Blick an.
    »Ich weiß, daß ich selber schuldig bin. Für die Leute bin ich verantwortlich und nicht der Stabschef. Auch für dieses Unternehmen bin ich verantwortlich. Und als der Divisionskommandeur heute Abrossimow anschrie, da wußte ich, daß er damit auch mich anschrie. Und er hat recht.« Der Major fährt sich mit der Hand übers Haar und läßt seinen müden Blick über uns gleiten. »Es gibt keinen Krieg ohne Opfer. Dafür ist eben Krieg. Doch das, was gestern im zweiten Bataillon vorgekommen ist – das ist kein Krieg mehr. Das ist Vernichtung … Abrossimow hat seine Machtbefugnisse überschritten. Er hat meinen Befehl widerrufen, zweimal widerrufen. Am Morgen telefonisch, und dann persönlich, als er die Leute in den Angriff jagte.«
    »Der Befehl

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