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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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bremst scharf. Vorn ist wieder eine Stauung.
    So geht es die ganze Zeit. Verdammt! Drei Schritte fahren und eine Stunde stehen. Und dieser Regen noch dazu.
    Ich frage, wer noch aus dem Regiment da ist.
    »Niemand. Der Teufel soll sich da durchfinden. Hier ist unsere Armee wie auch die benachbarte. Der Divisionsstab ist irgendwohin nach Norden abgezogen. Und dort sind die Deutschen. Ich habe weder Karte noch Kompaß.«
    »Und die Deutschen?«
    »Der Himmel weiß, wo sie jetzt sind. Vor zwei Stunden waren sie in Kantemirowka. Das Benzin ist knapp. Obendrein hab ich mich erkältet. Hörst es ja an meiner Stimme. Zwei Nächte habe ich nicht geschlafen.« Er fährt sich mit der Hand über die Augen. »Der Fahrer und der Waffenmeister sind während eines Bombenangriffs verschwunden. Zwei Benzinkanister haben sie mir gestohlen. Na, du verstehst schon selbst.«
    Die vor uns stehende Maschine kommt in Bewegung. Wir fahren weiter. Im Führerhaus ist es warm. Ich döse vor mich hin, mein Kopf sinkt vornüber. Bei Schlaglöchern wache ich auf, dann dusele ich wieder ein, träume irgendwelchen Unsinn zusammen.
    Gegen Morgen geht das Benzin zu Ende. Wir gelangen kaum bis zu einem Dorf.
    Wir stürzen in eine Hütte, lassen uns zu Boden fallen, auf schnarchende Gestalten, auf Sonnenblumenschalen.
    Im Laufe des Tages ist es etwas abgetrocknet. Die Wolken fliegen in Fetzen nach Osten, nur selten guckt die Sonne hervor, eilig und ungern. Der Weg ist verstopft. »Fords«, »Gas«- und »Sis«-Wagen, gedeckte riesige »Studebaker« – davon sind allerdings nur wenige da –, und dann Pferdewagen, Pferdewagen, Pferdewagen … Die Divisionsartillerie zieht vorbei. Auf den langen Läufen hängen Trauben von Gänsen. Wütend quiekt irgendwo ein Ferkel. Wägelchen und selbstgemachte Wagen, leere Protzen, viele Berittene. Zwei Troßfahrer sitzen auf Kühen, mit Decken und Jacken als Unterlage, statt der Zügel haben sie Wickelgamaschen um die Hörner geschlungen. Sie winden sich langsam unter allgemeinem Gelächter durch die Wagen hindurch. Alles bewegt sich mit Geschrei, Gejohle und Peitschengeknall in südöstlicher Richtung, zum Horizont, vorbei an Hainen, Mühlen, trigonometrischen Punkten in den Feldern. Die riesige bunte Schlange kriecht, windet sich, hält inne, zieht sich zusammen und kriecht wieder weiter …
    Wir sitzen auf einem langen, knorrigen Klotz am Wegrand und rauchen unsern letzten Tabak. Walega hat im Sack noch ein Päckchen Machorka, aber das ist alles, und wir sind unser vier. Kopyrko ist mit seinem Auto verschwunden. Wahrscheinlich hat er Benzin aufgetrieben und ist abgefahren, ohne auf uns zu warten. Gott mit ihm. Nur gut, daß er uns wenigstens in der Nacht gefahren hat.
    Die Wagen halten an einem Brunnen. Hier gibt’s Gedränge und Geschrei. Im Brunnen ist fast kein Wasser mehr. Die Pferde wenden sich ab von dieser trüben, erbsenfarbenen Brühe, und dennoch drängen alle herbei mit Geschrei und Eimergeklirr.
    »Nun?« sagt Igor und blickt zur Seite.
    »Was nun?«
    »Was wird nun weiter?«
    »Weitergehen, was sonst.«
    »Wohin?«
    Ich weiß selbst nicht, wohin wir gehen sollen, antworte aber dennoch:
    »Wir müssen die Unseren suchen …«
    »Was heißt die Unseren – Schirjajew, Maximow?«
    »Schirjajew, Maximow, das Regiment, die Division, die Armee …«
    Igor antwortet nicht, pfeift nur vor sich hin. Er hat furchtbar abgenommen in diesen Tagen. Seine Nase schält sich, das Schnurrbärtchen, das einst kokett waagerecht gestanden hat, hängt herab. Was hat er jetzt noch gemein mit dem eleganten jungen Mann auf dem Bilde, das er mir einst zeigte? Seidenes Hemd, gestreifter Schlips, zu einem großen Knoten gebunden, weite Hosen à la Charlie Chaplin. Absolvent der Kunstakademie. Er sitzt auf der Tischkante in nachlässiger Haltung, die Zigarette im Mund, die Palette in der Hand. Hinter ihm eine große Leinwand mit schwungvoll vorwärts drängenden Gestalten.
    Auf dem anderen Bild ein hübsches Mädchen im weißen Pullover mit ein ganz klein wenig schrägstehenden Augen, und auf der Rückseite eine rührende Widmung in einer noch nicht ausgeschriebenen Handschrift.
    Das alles existiert nun nicht mehr … Auch das Regiment, der Zug, auch Schirjajew und Maximow nicht. Es existieren nur die wundgelaufene Ferse, die durchgeschwitzte Feldbluse mit weißen Flecken, an der Hüfte die Pistole und – im Innern Rußlands Deutsche, die, gleich einer Lawine, auf den Don zu rollen. Und endlose Autokolonnen, und Gedanken, die

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