Stalingrad
einen halben Tag lang. Die graue blinde Stute tauschen wir gegen ein braunes Füllen, das uns eine Menge Scherereien macht. Es stößt, faucht, will nicht recht ziehen. Es wird wieder vertauscht gegen eine alte friedliche und willige Kreatur mit hängender nasser Schnauze.
Die Stimmung ist hundsmiserabel. Wenn man wenigstens einen Heeresbericht bekäme und erführe, ob es an den anderen Fronten besser ist als bei uns. Wenn die Deutschen wenigstens irgendwo auftauchen würden. Aber so, weder Deutsche noch Krieg, sondern nur eine trostlose, drückende Schwermut.
Ein Nachrichten-Major, dem wir seinen »Willys« aus dem Graben herausziehen helfen, sagt, daß es jetzt Kämpfe zwischen Woroschilowgrad und Millerowo gäbe, und dieses Wort »Kämpfe« tröstet uns für einige Zeit. Es bedeutet, daß unsere Armeen kämpfen.
»Im übrigen aber gehen Sie nach Stalingrad, wenn Sie Ihre Armee nicht finden. Dort werden jetzt neue Einheiten aufgestellt. Sie werden so schneller an die Front gelangen …« Und er verschwindet in einer Staubwolke.
Schimpfend klettern wir auf unsere Wagen – seien sie dreimal verflucht! Und wieder Steppe, Staub, glutheißer, fahler Himmel.
Die Frauen fragen uns, wo denn die Deutschen seien und wohin wir führen. Schweigend trinken wir die kühle, eben aus dem Keller geholte Milch und deuten mit der Hand nach Osten.
Dorthin … über den Don …
Ich kann diese Gesichter nicht mehr sehen, diese fragenden, verständnislosen Blicke. Was soll ich ihnen antworten? Am Kragenspiegel habe ich zwei Vierecke, an der Seite eine Pistole. Warum bin ich nicht dort? Warum bin ich hier? Warum stuckere ich auf diesem quietschenden Wagen dahin und winke nur mit der Hand ab bei all diesen Fragen? Wo ist mein Zug, mein Regiment, meine Division? Ich bin doch Offizier…
Was soll ich darauf antworten? Daß Krieg eben Krieg ist, daß er sich auf Schlauheit und Überraschungen gründet, daß die Deutschen im Augenblick mehr Flugzeuge und Panzer haben als wir, daß sie sich beeilen, um bis zum Winter den Feldzug zu beenden, und deshalb jetzt mit dem Kopf durch die Wand rennen … Und daß, obgleich wir gezwungen sind zurückzugehen, ein Rückzug schließlich noch keine Niederlage ist; sind wir doch auch im Jahre einundvierzig zu rück gegangen und haben dann die Deutschen von Moskau verjagt … Ja, ja, ja, das ist alles verständlich, aber im Augenblick, im Augenblick marschieren wir dennoch nach Osten und nicht nach Westen, immerfort nach Osten … Und ich antworte nicht, sondern deute nur mit der Hand nach Osten und sage: »Auf Wiedersehn, Oma. Wir sehn uns wieder, Ehrenwort, wir sehn uns wieder …«
Und ich glaube daran … Das einzige, das wir im Augenblick haben, ist der Glaube.
Wir passieren das staubige, mit Wagen vollgepfropfte Morosowskaja mit seinen rauchenden Bahnhofstrümmern und den endlos langen Schlangen steckengebliebener Waggons.
Dann – der Don. Schmal, gelb, verschwindet er ganz und gar unter Rädern, Kühlern, nackten, halbnackten und bekleideten Menschenkörpern, unter Staub, Hupentönen, unter dem allgemeinen, nicht einen Augenblick aufhörenden Lärm von heulenden Autos und Menschengeschrei. Dichte Staubwolken. Trichter. Aufgetriebene Pferdekadaver, die alle viere von sich strecken, zersplitterte Bäume, Autos, deren Bäuche nach oben gekehrt sind.
Rote Gesichter, verschwitzt, vertiert, heisere Stimmen. Ein weißblonder Leutnant mit den Äxten eines Ingenieurs am Kragenspiegel der aufgeknöpften Feldbluse, ohne Feldmütze, versucht, völlig heiser, Ordnung zu schaffen. Aber keiner hört auf ihn, er wird einfach umgerannt.
In der Pause zwischen zwei Bombenangriffen rennen wir über die Brücke. Kalushskij mit zwei Fahrzeugen verlieren wir aus den Augen. Ein Splitter streift Sedychs Wade. In dem tollen Durcheinander hat jemand Walegas Rucksack gestohlen. Er schimpft, kratzt sich am Hinterkopf und irrt zwischen den Trichtern und zerschlagenen Wagen umher. Bedenke doch, es war ja ein prima Rasierapparat drin!
Und hinter dem Don wieder Steppe, freudlose, schwermütige Steppe. Heute wie gestern und morgen wie heute, Sonne und Staub. Hitze, die einen wahnsinnig macht.
Es tauchen die ersten Einheiten auf, die an die Front marschieren. Sibirier, gut gekleidet, mit Maschinenpistolen und Helmen. Die Offiziere mit gelben knirschenden Lederriemen, mit neuen Kartentaschen, die auf der Seite hin und her hüpfen. Uns schauen sie etwas ironisch an.
In einem Dorf werden wir angehalten. Eine
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