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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Nekrassow
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Fenster hinaus, nachdem er das Maschinengewehr aufgestellt hat. Dann zieht Walega Zwiebäcke und eine Feldflasche mit Wodka hervor. Wir trinken der Reihe nach aus dem Aluminiumbecher. Der Regen setzt wieder ein.
    »Genosse Leutnant, ist es wahr, daß Hitler bloß ein Auge hat?« fragt Sedych und blickt mich mit seinen klaren Kinderaugen an.
    »Ich weiß nicht, Sedych. Ich denke, daß er zwei hat.«
    »Filatow, der MG-Schütze, hat erzählt, daß ihm ein Auge fehlt. Und daß er auch keine Kinder haben kann …«
    Ich lächle. Man fühlt, Sedych möchte gern, daß es wirklich so wäre. Lasarenko zwinkert herablassend mit einem Auge.
    »Er hat eine Gasvergiftung aus dem vorigen Kriege, und man sagt, daß er kein Deutscher wäre, sondern ein Österreicher. Sein richtiger Name wäre gar nicht Hitler, sondern irgendwie kompliziert, mit einem ›Sch‹. Stimmt das, Genosse Leutnant?«
    »Richtig. Schicklgruber ist sein Name. Er ist Tiroler …«
    »Tiroler …«, wiederholt nachdenklich Sedych und zieht seine Feldbluse straff. »Und die Deutschen lieben ihn?«
    Ich erzähle, wie und warum Hitler an die Macht gelangt ist. Sedych hört aufmerksam zu, mit leicht geöffnetem Mund, ohne mit der Wimper zu zucken; Lasarenko hat das Aussehen eines Menschen, der das alles längst weiß. Walega raucht.
    »Ist es wahr, daß Hitler nur Gefreiter ist? Das hat uns der Politruk 2 gesagt.«
    »Das ist wahr.«
    »Wie ist das denn möglich? … Staatsoberhaupt und bloß Gefreiter? Ich dachte, der Politruk lügt.«
    Er wird verlegen und knaupelt wieder an seinen Schwielen. Mir gefällt seine Verlegenheit.
    »Bist du schon lange im Kriege, Sedych?«
    »Ja, seit September einundvierzig.«
    »Wie alt bist du denn?«
    Er denkt nach und runzelt die Stirn.
    »Ich? Neunzehn, glaube ich. Ich bin dreiundzwanzig geboren.«
    Es stellt sich heraus, daß er schon bei Smolensk durch einen Splitter ins Schulterblatt verwundet worden ist. Drei Monate hat er im Lazarett gelegen und wurde dann an die Südwestfront geschickt. Den Rang eines Sergeanten hat er erst bei uns, in unserem Regiment, erhalten.
    »Und wie gefällt dir das Kriegführen?«
    Er lächelt verlegen und zuckt die Schultern.
    »Bis jetzt geht es. Bloß türmen, das macht keinen Spaß.« Sogar Walega lächelt.
    »Und nach Hause willst du nicht? Hast du kein Heimweh?«
    »Was hat man schon zu Hause? Mädels. Sonst nichts.« »Also willst du nicht nach Hause?«
    »Was? Freilich will ich … bloß nicht jetzt.«
    »Wann denn?«
    »Was soll man denn als Gemeiner hinfahren? Als Leutnant, ja – so wie Sie.«
    Walega erhebt sich plötzlich und blickt durchs Fenster. »Was gibt’s?«
    »Mir scheint, die Fritzen … Da sind sie, hinter dem Hügel …«
    Links von uns umgehen uns Deutsche, sprungweise und einzeln. Igor beugt sich über sein Maschinengewehr. Eine kurze Garbe. Der Rücken und die Ellbogen werden hin und her geschüttelt. Die Deutschen verbergen sich.
    »Gleich werden sie mit Granatwerfern feuern«, sagt halblaut Lasarenko und kriecht zu seinem Maschinengewehr hin.
    Zwei Minuten später beginnt der Beschuß. Die Granaten krepieren rings um den Schuppen, treffen aber nicht ins Innere. Die Deutschen versuchen von neuem sprungweise vorzugehen. Das Maschinengewehr wirbelt einen kleinen Staubstreifen auf, und über diesen Streifen kommen die Deutschen nicht hinweg. Das wiederholt sich drei- oder viermal.
    Der Gurt geht zu Ende. Wir verschießen die letzten Patronen und kriechen der Reihe nach zum Hinterfenster hinaus: Sedych, Igor, Walega, dann ich und hinter mir Lasarenko.
    Als ich aus dem Fenster krieche, krepiert neben mir eine Granate. Ich presse mich dicht an die Erde. Etwas Schweres fällt von hinten auf mich und rutscht langsam zur Seite: Lasarenko hat einen Bauchschuß. Ich sehe sein plötzlich weiß gewordenes Gesicht und die zusammengepreßten kräftigen Zähne.
    »Kaputt … glaub ich …« Er versucht zu lächeln. Unter dem Hemd quillt etwas Rotes hervor, krampfhaft preßt er die Hände darauf, große Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn.
    »Ich … Genosse Leut …«, er spricht nicht mehr, sondern röchelt nur noch. Das eine Bein ist angezogen, er kann es nicht mehr ausstrecken. Den Kopf zurückgeworfen, atmet er hastig, hastig. Er läßt die Hände nicht vom Leib. Die Oberlippe ist weiß wie die Haut und zittert fieberhaft. Er will noch etwas sagen, aber man kann nichts mehr verstehen. Er macht eine Anstrengung, will sich erheben und sackt plötzlich zusammen, die Lippe

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