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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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zwölfhundert Kilometer weit ins andere Land reinmarschiert«, sagte Fritz.
    Gross, der sich während der Fahrt langsam wieder ans Essen gewöhnt hatte, biss in seine Wurst. »Ich krepier für ’n Stück Pferdewurst. Gefällt mir besser.«
    Haller erinnerte sich an die letzte Lagebesprechung im Regimentsgefechtstand. Oberstleutnant Laske hatte wieder einmal recht behalten. Erhaltung der Opferbereitschaft durch nationalsozialistische Werte war oberstes Gebot. Gestützt von seinen Männern richtete er sich auf der Ladefläche auf.
    »Wo wir sind, ist Deutschland!«, donnerte er in den zerlumpten Haufen. »Und jetzt, Männer, wird sich endgültig zeigen, wer stärker ist, der Bolschewismus oder wir.« Der Lkw rumpelte über eine Bodenwelle, sein Kopf schlug schmerzhaft gegen das Gestänge.
    Erleichtert stellte er fest, dass seine wenigen Worte trotzdem genügt hatten, um die Männer mitzureißen. »Ein Weihnachtslied gegen die Kälte!«, kommandierte er abschließend.
    Mit brüchigen Stimmen begannen die Landser »O Tannenbaum« zu singen. Man dachte an ein wa rmes Weihnachtsessen, einen warmen Ofen, ein warmes Bett und an die Angehörigen, von denen sich viele, ohne es wahrhaben zu wollen, längst für immer verabschiedet hatten.
    Haller war gerührt. Das alles war sein Werk. Irgendwie kam es ihm vor, als würden die Männer für ihn singen.

 
     
     
     
     
     
    53
     
     
    T iefe Nacht herrschte, als sie den Bereitstellungsort, eine verbrannte Kolchose, erreichten. Der Motor stotterte vor Kälte. Aus den Resten der Lehmhütten und Stallungen quollen Soldaten, viele davon verletzt. Hans und Gross zerrten Bubi und Fritz, deren Hosen im Sitzen festgefroren waren, von der Pritsche. Sie landeten auf fest gewalztem Schnee. Die Glieder waren taub, die Kälte wie eine unsichtbare Wand. Sie halfen einem wimmernden Unteroffizier, dessen Beinstumpf in einem löchrigen Strumpf steckte, auf den Lastwagen. Haller und Slesina verloren die Übersicht zwischen »alten« und »neuen« Verwundeten und schrien nervös sinnlose Befehle.
    Bubi entdeckte Hauptmann Musk, der auf die Gruppe zuschritt. Er war noch hagerer geworden, hatte noch ein paar graue Haare mehr bekommen und trug inzwischen das Ritterkreuz. Die fünf starrten ihn an wie ein Wesen aus einer anderen Welt.
    »Sieh mal, Ritterkreuz«, flüsterte Bubi bewundernd.
    »Da klebt auch dein Blut dran, Idiot!«, fuhr Gross ihn an. Er wandte sich ab, als Musk dicht an ihm vorbeiging. Er wollte ihn nicht mehr sehen und vor allem ni cht mehr sprechen, bevor es endgültig ans Sterben ging. Er versuchte sich einzureden, dass der Freund, den er einmal gehabt hatte, längst tot war und dort nur noch eine uniformierte Larve spazieren ging. Es gelang ihm nicht ganz.
    Von den Feldgendarmen w urden sie auf schwache Kompaniestärke zusammengetrieben. Irgendjemand schrie ihnen die neue Divisionsnummer zu. Als ob die noch wichtig gewesen wäre. In ihrem Haufen von achtzig oder neunzig Mann befanden sich mindestens fünf verschiedene Divisionen, aus allen möglichen Teilen des Kessels zusammengekratzt. Der Bodensatz. Die noch kräftig genug waren, stampften gegen die Kälte mit den Füßen. Die anderen lehnten aneinander. Die Solidarität wuchs mit dem Bewusstsein, dass es auf das Ende zuging.
    Rollos Nebenmann, mit einer Beule aus gefrorenem Blut, Dreck und Eiter über dem linken Auge, begann zu wimmern.
    »Hör auf!«, knurrte Rollo. »Der Iwan sorgt schon dafür, dass es bald vorbei ist.«
    Ein anderer, dem Hans gerade noch auf die Füße geholfen hatte, drohte wieder umzukippen. Fritz half ihm, ihn zu stützen. »Das ist doch Wahnsinn!« Hans atmete schwer. »Die meisten schaffen’s doch nicht mal bis an die Front.«
    Die Feldgendarmen verloren auf der überfüllten Ladefläche endgültig die Übersicht. Haller sah sich genötigt, persönlich einzugreifen. Es war in der Tat schwierig, wenn nicht unmöglich, zwischen denen, die an die Front, und denen, die ins Lazarett sollten, zu unterscheiden. Auf der grotesken Suche nach weniger schwer Verwundeten watete er unbeholfen und mit zunehmender Wut durch den Haufen Verletzter. Unten standen und lagen noch mindestens fünfzig schwere Fälle, die auf Befehl des Hauptmanns mitgenommen werden mussten. Er warf einen gehetzten Blick auf die Uhr. Schon halb drei. Im Augenblick herrschte hier vorn zwar noch so etwas wie weihnachtliche Stille, aber lange würde es nicht mehr dauern.
    Einen der Verwundeten, die erschöpft vor sich hindämmerten, riss

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