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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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er am Arm hoch. Der Mann glo tzte ihn verständnislos an, Haller zerrte ihn ans Ende der Pritsche. Jetzt erst begriff der Mann, was Haller von ihm wollte, und begann zu schreien. »Lass los! Ich komm grade von vorn!«
    »Steig aus, oder es knallt!«
    Der Soldat versuchte sich verzweifelt an einem Kameraden festzuhalten. Von hinten traten und bissen Haller ein paar andere in die Kniekehlen. Haller, nicht gewohnt, die Drecksarbeit selber zu erledigen, verlor die Beherrschung, schrie auf, trat um sich und versuchte den Mann von der Pritsche zu schieben. Er stolperte, seine Brille verrutschte, mühsam hielt er sich mit einer Hand am Gestänge fest und riss mit der anderen seine Pistole aus dem Halfter.
    »Dann schieß doch!«, brüllte ih n der Soldat mit sich überschlagender Stimme an. »Verfluchter Kettenhund! Los, schieß doch!«
    Dem Schuss folgte lähmende Stille. Haller blinzelte erstaunt auf den zerschmetterten Kopf unter sich , so, als müsse er sich klar darüber werden, woher der Schuss gekommen war. Er wurde von der Ladefläche gerissen und sah das zornige Gesicht des Hauptmanns.
    »Sind Sie wahnsinnig geworden?« Musk brüllte so laut, dass die Soldaten, die ebenfalls losschreien wollten, erschraken und stumm blieben.
    »Der Mann wollte sich drücken!« Haller versuchte seine Angst zu verbergen. »Ein Deserteur!«
    »Hauen Sie ab, Sie Idiot«, zischte Musk. »Gehen Sie mir aus den Augen!«
    Von den anderen fand Fritz als Erster seine Sprache wieder. »Aus, Schluss«, sagte er laut und vernehmlich und bahnte sich einen Weg durch die Männer. »Ich hab den Kanal voll. Mit mir nicht mehr.«
    Rollo packte ihn heftig an der Jacke. »Spinnst du? Halt bloß die Fresse!«
    »Ich hab auch die Schnauze voll«, sagte ein anderer.
    Rollo sah verstört von einem zum andern. Was war denn hier los? So was durften deutsche Sold aten nicht einmal denken! Er erinnerte sich an ihre Verhaftung, fasste Fritz an den Schultern, zerrte ihn dicht zu sich heran und flüsterte eindringlich: »Fritzchen, du redest uns noch um Kopf und Kragen.«
    Fritz stieß ihn beiseite, sein Arm wies auf Haller. »Lasst die Drecksau nicht weg! Schlagt sie tot!«
    Drohend schob sich der zerlumpte Haufen auf Haller zu. Die Feldgendarmen richteten ihre Waffen auf sie.
    Ein weiterer Schuss fiel. Es war der einarmige Hauptmann, der in die Luft gefeuert hatte und sich zwischen sie und die Feldgendarmen stellte. »Ruhe, Männer! Ruhe!«
    Der Haufen blieb unter seinem Blick tatsächlich stehen.
    Der Hauptmann drehte sich rasch zu den Feldgendarmen um.
    »Haut ab!« Er zeigte auf den Toten. »Nehmt ihn mit. Und jetzt weg hier, ihr Idioten!« Er winkte dem Fahrer, er solle losfahren.
    Die Feldgendarmen stolperten dem Lkw hinterher, sprangen auf. Die zurückgebliebenen Verwundeten wankten apathisch wieder in die zerschossenen Lehmkaten zurück.
    Musk wandte sich wieder an den grauen Haufen. »So, Männer, jetzt beruhigt euch erst mal.«
    »Nein!«, schrie Hans plötzlich, und alles, was sich in den letzten Wochen in ihm aufgestaut hatte, brach sich Bahn, alles war auf einmal ganz klar und einfach. »Jetzt ist es genug. Wir machen nicht mehr mit!«
    Erstaunt sah er sich um. Hatte er das gesagt? Hatte wirklich er das gesagt und nicht Fritz, der ihn angrinste und »Genau!« rief. Und auch nicht der hohläugige Gefreite hinter ihm, der ebenfalls zustimmte, indem er mit heiserer St imme schrie, dass sich hier keiner mehr verheizen lassen würde. Nein, er war es gewesen, der ehemalige Leutnant Hans von Wetzland! Eine Ungeheuerlichkeit, die mit einer jahrhundertelangen Familientradition brach. Ihm wurde schwindlig und leicht, vor allem leicht; denn endlich hatte er aus der quälenden Verzweiflung und Aussichtslosigkeit der letzten Wochen herausgefunden. Plötzlich hatte alles wieder einen Sinn. Diesmal war es nicht ein Schlag im Affekt ins Gesicht eines Vorgesetz ten, sondern eine bewusste Handlung, die sie retten würde, sie alle!
    Er drehte sich zu Gross um, der wie ein kleiner Junge zwischen zwei typhuskranken Riesen stand, d ie ebenfalls riefen, dass es genug sei, genug! Er konnte das Wort gar nicht oft genug hören, und die anderen auch nicht, und es wurde immer lauter und rhythmisch wiederholt, und Hans fasste Gross, der als Einziger schwieg, an den Schultern und schrie: »Warum sagen Sie denn nichts?«
    Doch Gross zuckte mit den Schultern und murmelte: »Warten wir’s ab!«
    Musk blieb ganz ruhig und wartete, bis den Männern die Puste ausging. Das war in der

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