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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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durchgedreht, damals, als ich die Knarre auf den Oberleutnant gerichtet hab. Es war …«, Fritz machte eine Pause, starrte verlegen auf seine Lumpenstiefel, »… wegen der verletzten Russin.« Hilfe suchend sah er Hans an. »Weißt du noch?«
    Hans nickte und versuchte sich zu erinnern. Aber er sah nur die braunen, runden Augen von Frit z und dahinter eine Unzahl blutverschmierter, eitervertrockneter Bandagen. Es war ja auch gleichgültig, ob er sich erinnerte oder nicht, ob die Geschichte in Wirk lichkeit oder nur in Fritz’ Fantasie stattgefunden hatte. Hauptsache, sie hatten noch ein letztes gutes Gefühl, bevor es endgültig zu Ende war.
    »Ich wusste, dass du sie gekannt hast.«
    »Nein, ich hab sie nicht gekannt, ich weiß nicht mal ihren Namen«, widersprach Fritz. »Sie war hübsch, wirklich, so ’ne Frau find ich daheim nie.«
    Rollo starrte ihn ungläubig an. »Soll das heißen, wir sitzen wegen ’nem Russenweib im Mondscheinbataillon?«
    »Halt’s Maul«, sagte Gross.
    »Schon gut.« Rollo wusste so gut wie die anderen, dass Weihnachten war, und er kramte alles an Gefühl zusammen, was er noch aufbringen konnte. »Wenn ich den Angriff überleb, schreib ich meiner Alten auch, dann scheiß ich auf den Franzmann.« Mit diesen Worten kramte er einen Flachmann hervor, den er direkt über seinem Herz aufbewahrte. Er trank, bis er glaubte, seine Gedanken und Magenwände würden explodieren, und reichte den Schnaps weiter. »Nüchtern kommen wir eh nicht mehr heim.«
    Fritz nickte und nahm einen Schluck.
    »Ich muss seiner Mutter schreiben«, sagte Hans.
    Fritz nickte. »Schreibst aber nix vom Lazarett.«
    Hans schüttelte den Kopf. »Nach heldenhaftem Kampf«, sagte er leise, »und nachdem er zwei unserer Kameraden das Leben gerettet hat, ist Ihr Sohn durch einen Kopfschuss schnell und schmerzlos gefallen.«
    Fritz zerkaute den letzten Rest seiner Pferdewurst. »Ist ’n bisschen dick aufgetragen. Schreib vie lleicht lieber, bei schweren Abwehrkämpfen …«
    »Lass ihn doch Held sein«, unterbrach ihn Rollo. »Wenigstens ein Held.«
    Hans’ Blick glitt über die zerstörten Gesichter der Männer, und er meinte, der eiskalte Wind würde durch ihn hindurch wie durch einen leeren Raum wehen. Das Schlimmste am Krieg waren nicht die Toten, sondern die Verwundeten. Sollten sie froh sein zu Hause über jede Todesnachricht! Sie lebten dort in einer anderen Welt, und ihr Jubel für diesen Krieg war ebenso dumm und anmaßend wie ihre Trauer.
    »Fritz«, sagte er leise, »wenn es mich erwischt, wenn ich schwer verwundet werde, tust du mir den Gefallen und machst Schluss?«
    Fritz schaute ihn eine Weile lang stumm an. Dann nickte er.
    »Und du?«
    »Ich komm durch«, sagte der ehemalige Dicke barsch. »Hab’s im Urin, ich komm durch. Hab so viel Scheiß überlebt, überleb ich das auch noch.«
    Die Verzweiflung ihres Bewachers Ludwig war unterdessen so groß geworden, dass neuer Mut daraus entstanden war. Mühsam kroch er unter den Flüchen der Verletzten zu Hallers Knien, der inmitten seiner Leute vorne an der Trennwand zum Führerhaus saß.
    »Entschuldigung, Herr Oberleutnant, aber das ist ein Irrtum, ich gehöre zum Wachpersonal wie Sie und …«
    »Maul halten und hinsetzen«, unterbrach ihn Haller mit müder Stimme. Nach seinem Auftritt im Lazarett fühlte er sich abgespannt, sehnte sich sogar nach ein wenig Frieden. Kein Mensch kann unentwegt selektieren. Es war Weihnachten, und auch er träumte von Kinderchören, Kerzen und Gebäck. Kein Zweifel, er war nicht mehr mit ganzem Herzen bei der Sache, auch er brauchte dringend eine Pause. Aber man durfte sich gerade jetzt keinerlei Blöße geben. Jede noch so verständliche Schwäche wurde von den Leuten, die man zu beaufsichtigen hatte, sofort und unbarmherzig ausgenutzt.
    Doch bevor er seine Gedanken darauf konzentrieren konnte, wie er diese jämmerliche Figur zur Ordnung rufen sollte, packte einer der verwundeten Landser Ludwig mit seinem gesunden Arm und schleuderte ihn auf die Seitenpritsche. »Du verdammter Pisser, halt dein Maul!« Und dann zu Haller: »Wir hauen dem Iwan aufs Maul, wie er’s braucht. Verlassen Sie sich darauf! Im Frühjahr ist der Krieg aus, und wir sind zu Hause.« Ein neuerlicher Schmerzanfall presste ihm Augen und Mund zusammen. Er beugte sich stöhnend nach vorn, richtete sich wieder auf. »Falls es jemanden noch nicht klar ist«, sprach er mühsam, »wir verteidigen hier unsere Heimat.«
    »Komische Verteidigung, bei der man

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