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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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Hans erkannte im Licht der Glühlampen die Gesichter von Haller und Slesina.
    Ein Feldarzt stellte sich ihnen in den Weg. Slesina schob ihn mit dem Gewehrlauf beiseite und machte Platz für Haller, der rücksichtslos in den Raum stapfte.
    Sein persönlicher Erfolg in de n letzten Wochen stand in diametralem Gegensatz zur Lage der Armee. Es war ihm nicht nur gelungen, weiterhin andere an die Front zu schicken, er hatte sogar das Kunststück fertiggebracht, das Kommando über eine Kompanie Feldgendarmen zu erhalten, was für ihn einen Kampfeinsatz endgültig unwahrscheinlich machte. Seine Kompanie wurde durch zwei Züge sogenannter Ordnungstruppen verstärkt, denn die Aufrechterhaltung der Ordnung wurde zunehmend zu einem Problem. Die neue Funktion war wie geschaffen für Haller: Endlich konnte er voll und ganz seine Pflicht tun, ohne um sein Leben fürchten zu müssen.
    »Fröhliche Weihnachten, Kameraden, hört mal her!« Haller hatte noch nie vor einer so gewaltigen Menschenmenge gesprochen. Er überwand den Ekel vor dem schrecklichen Gestank und versuchte, die Situation als momentanen Höhepunkt seiner Pflichterfüllung zu empfinden. Er begann mit einer präzisen Lagebeschreibung: »Der Russe versucht, uns in Marinowka, unserer Basis für den Ausbruch, zur Sau zu machen. Wir brauchen also jeden Mann an der Front. Wir zwingen keinen. Aber wer es schafft, jetzt aufzustehen, und draußen Waffen und Munition in Empfang nimmt, bekommt eine Sonderration Wurst und Brot!«
    Er zauberte eine fingerdicke Scheibe Brot und eine ganze Pferdewurst aus seinem Mantel hervor und hielt sie hoch. Die Augen der hauptsächlich mit Bandagen zusammengehaltenen Menschenbündel zu seinen Füßen verrieten deutlich, dass sie Lebensmittel in dieser Größe für eine Halluzination hielten.
    Haller drehte verführerisch die Handgelenke. »Na, habt ihr keinen Kohldampf? Jeder bekommt draußen so eine Portion. Und denkt dran: Um zu schießen, muss man nicht unbedingt laufen können!«
    Aufgeregtes Gemurmel pflanzte sich von der Mitte des Raums bis in die letzten Ecken fort und rollte zurück. Viele konnten nicht widerstehen, aber eine natürliche Auslese fand bereits auf dem Weg zur Treppe statt, wo die Schwachen zu Boden sanken und heulend vor Schmerz und Wut zurückblieben. Über mangelnden Zulauf konnte sich das Kommando dennoch nicht beklagen. Links und rechts neben dem Eingang postiert, sortierten die Feldgendarmen die noch einigermaßen Kampffähigen aus. Einem Einbeinigen wurde die Treppe hochgeholfen. Zu den nicht Verwendungsfähigen war man weniger freundlich. Slesina stieß einen Unteroffizier, dem beide Hände fehlten, zu Boden, wo dieser sich auf die Knie kämpfte und bettelte: »Bitte, nur ein Stück Brot!«
    »Mach Platz!« Slesina griff dem Mann, der den gesamten Aufgang versperrte, von hinten unter die Achseln und zerrte ihn hoch. Er war erstaunt, wie leicht der Verwundete war. Er warf ihn auf den Haufen zu einigen anderen, die bereits ausgemustert worden waren.
    »Diese Sau!« Fritz war kreideweiß vor Wut.
    Ludwig, ihr Bewacher, hatte sichtlich die Hosen voll. Er trieb seine Schützlinge in den dunkelsten Teil des Gewölbes. Sie hatten nichts dagegen, ihm zu folgen. Nur Fritz blieb zurück, denn Herbert hielt ihn immer noch fest. Fritz wollte sich losmachen, woraufhin Herbert verzweifelt wimmerte.
    Da wurden Hans und seine M änner vom Pfarrer entdeckt. Aufgeregt wies sein Finger ins Halbdunkel. »Da hinten sind noch ein paar Kämpfer für Sie, Herr Oberleutnant!«
    Mit einem jammernden Fluch stolperte Ludwig weiter.
    »Halt! Stehen bleiben!« Slesina und zwei seiner Kettenhunde schwenkten die Waffen in ihre Richtung. »Herkommen!«
    Ludwig hatte begriffen, dass e s keine Flucht gab, da die Feldgendarmen vor dem einzigen Ausgang standen. Beflissen eilte er auf Haller zu, nahm Haltung an und schlug die Hacken zusammen. Seine Hand fuhr zum vorschriftsmäßigen Gruß an die Mütze.
    »Obergefreiter Ludwig, drittes Strafbataillon, erste Kompanie. Melde Herrn Oberleutnant, wir haben den Befehl, die Straße nach Woroponowo …«
    Haller winkte ab und trat auf Hans und seine Männer zu, die immer noch im stinkenden Halbdunkel zwischen den Sterbenden standen. Ungläubig starrte er in die bekannten Gesichter. Es musste Schicksal sein. So wie dem Führ er ganze Armeen und Völker gegeben waren, um seine Größe durch sie zu demonstrieren, waren ihm diese fünf Kreaturen zuerkannt, um seine Ehre und Treue dem Vaterland gegenüber immer

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