Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

wir für richtig halten.«
    »Einverstanden«, erwiderte Musk. Er hatte gewonnen. Es gab nur noch eine Kleinigkeit zu erledigen, sozusagen eine Formalität. Er trat zu der Gruppe um Hans, und seine Stimme bekam einen versöhnlichen Klang, als er sagt e: »Ihr seid Soldaten auf Bewährung. Ich verspreche euch: Wenn ihr in dem Kampf, der vor uns liegt, eure Pflicht erfüllt, wenn ihr so tapfer kämpft wie schon einmal hier in Stalingrad, werdet ihr vorzeitig wieder in die Wehrmacht eingegliedert, mit den alten Diensträngen und allen Orden und Auszeichnungen. Ihr habt mein Wort. Verstanden, Männer?«
    »Jawoh l«, sagte Rollo.
    »Jawohl, Herr Hauptmann!«
    Musk wandte sich an Hans, an ihn allein: »Ihr Gesuch um … na ja, Sie wissen schon, will ich vergessen. Ich verlasse mich auf Sie.«
    Zornig starrte Hans den Hauptmann an. Er hatte nicht die Kraft gehabt, die Männer in ihrer Verweigerung zu bestärken, aber er hatte bis zum letzten Moment vorgehabt, dem Hauptmann wenigstens seine persönliche Absage ins Gesicht zu schleudern, denn einen Ausbruch aus dem Kessel hielt er nach allem, was er bisher gesehen und erlebt hatte, für unmöglich. Aber ihm wurde auf einmal schwindlig unter dem Blick aus diesen reglosen grauen Augen, die unter seinem Starren zu phosphoreszieren begannen, und obwohl er wusste, dass das nur Einbildung war, drehte er sein Gesicht weg, bis sein Nacken zu schmerzen begann, und alle hastig gefassten Gedanken und Entschlüsse verflüchtigten sich.
    Die Hoffnung, endlich etwas anderes sein zu können als eine Offizierslarve oder ein unter Hassgefühlen wankender Sträfling war eine Illusion gewesen, zurück blieb sein schmerzender Nacken und eine Kuppel hermetischer Einsamkeit, die ihn umschloss.
    Musk lächelte schmal, nickte Hans zu. »Sie werden mich nicht enttäuschen, ich weiß es. Und jetzt an die Arbeit! Waffen und Munition fassen! Ach ja, und zieht euch ein paar Bettlaken über.«
     
    Die Soldaten gingen durch den eisigen Wind zur Waffen- und Munitionsausgabe. HGM befand sich plötzlich neben Rollo. Noch beseelt von Musks Ansprache, schlug er ihm freundschaftlich zwischen die Schulterblätter. »Freut mich, dass du wieder dabei bist, ehrlich!«
    Auch Piontek stapfte herbei. »Mich auch, alter Muschkote.« Er quetschte Rollos vor Kälte taube Hand.
    Rollo stöhnte und war wieder einer von ihnen. »Bevor du die Augen ’s nächste Mal zumachst, bin ich wieder Unteroffizier!«
    HGM nickte versöhnlich. »Der Hauptmann hat recht, man muss auch vergessen können.«
    Er stolperte, fiel, drehte sich wütend zu Fritz um, der ihm ein Bein gestellt hatte.
    »Was soll denn das?« HGM versuchte aufzustehen, fiel stöhnend zurück. »Ah, mein Arm!«
    »Ist doch scheißegal«, tröstete ihn der ehemalige Dicke. »Wirst sowieso vernichtet.«
     
    Musk hoffte, dass der russische Angriff einsetzen würde, bevor der Mut seiner Männer wieder verflogen war. Aber er glaubte nicht daran. Die Russen hatten es bisher meisterhaft verstanden, Witterung und Verpflegungsengpässe für sich arbeiten zu lassen, und sie würden es auch weiterhin so halten. Mit gutem Beispiel vorangehen war alles, was Musk tun konnte. Den Rest musste die Todesfurcht besorgen.
    Er betrat einen der ausgebrannten Viehställe, hörte plötzlich ein leises Geräusch und blieb stehen.
    Gross schien ihm noch klei ner geworden zu sein, wie eingeschrumpft.
    »Alle Achtung, gut gemacht«, sagte Gross. »Es gäbe allerdings einiges anzumerken.«
    »Du hättest es ja tun können. Eigentlich habe ich fast erwartet, du würdest diese kleine Pöbelei zu einer melodramatischen Selbstdarstellung nützen.«
    »Dann hättest du mich erschießen lassen müssen. Siehst du, das habe ich dir erspart. Ich finde, dafür habe ich eine Zigarette verdient.«
    Gross griff langsam in Musks Rocktasche. Musk zog sein Etui aus der anderen hervor.
    »Früher hattest du es immer in der rechten.«
    Musk nickte, bot ihm eine Zigarette an, gab ihm Feuer.
    Gross zwinkerte in den Rauch seines ersten Zuges. »Du musst zugeben, wäre schlecht für di e Stimmung gewesen, meine Exekution. Obwohl, manchmal hilft es ja auch.«
    »Wie sehr du mich doch hasst.«
    »Man soll die Toten nicht hassen«, erwiderte Gross. »Und du bist für mich längst tot. Ich habe dich schon tausendmal verscharrt. Was glaubst du, wie viel Erde dein Gesicht bedeckt?«
    »Und wohin hat’s dich gebracht? Du hast nicht mich verscharrt, sondern dich selbst. Hör zu, Otto – man muss an etwas glauben. Es ist