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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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spähte in die Dunkelheit. »Kann meine Kriegsinstinkte einfach nicht loswerden. Wir haben den Krieg gebraucht. Wir haben Millionen Tote gebraucht, und wir brauchen sie weiterhin, bis wir endlich begriffen haben, bis es in unsere Schädel gemeißelt ist, was für Verbrecher wir sind. Auch ich. Vor allem ich. Wissen Sie, was das einzig Sinnvolle wäre?«
    »Was?«
    »Nicht einfach abzuhauen, sondern unsere Führung zu liquidieren.«
    Hans fuhr so heftig herum, dass er gegen Gross’ Schulter prallte.
    »Alle, die gegen sofortige Kapitulation sind, erschießen«, fuhr Gross ruhig fort. »Ich müsste bei Ihnen den Anfang machen.«
    »Das habe ich nicht geh ört!« Hans wich langsam zurück.
    Gross lachte. »Sie brauchen Ih re Waffe nicht. Ich bring es sowieso nicht fertig.«
    Hans bemerkte erst jetzt, da ss seine Hand nach der Pistolentasche tastete.
    »Aber ich arbeite daran«, sprach Gross weiter. »Das hieße, meine Mörderqualitäten endlich in den Dienst einer guten Sache zu stellen. Etwas anderes als ein Mörder kann ich sowieso nicht mehr sein. Ja«, schrie er plötzlich in die Dunkelheit hinaus, »ich habe das Töten geliebt! Aber jetzt bin ich ein alter, kranker Mann.«
    Gross zitterte am ganzen Körper, und Hans fragte sich, ob ihm endgültig der Absprung in den Wahnsinn gelungen war.
    Doch dann fuhr er mit überraschend normaler Stimme fort: »Ich liebte es. Es war meine Leidenschaft. Wie eine Sucht. Es hat mich am Leben erhalten. Der Hass auf die eigene Führung hat sich im Kampf in Hass auf den Feind verwandelt.« Er kicherte. »Es ist viel schlimmer, einen ganzen Tag Gräber zu schaufeln, als zu töten. Am Allerschlimmsten ist es, Straßen freizuschaufeln.« Er spuckte angewidert auf den Rand des Grabens. »Wie erbärmlich, nicht vom Feind, sondern von Hunger und Kälte besiegt zu werden! Erst wenn man tot ist, ist es gleich. Ich hatte gerade vor, mich zu erschießen, aber dann sind Sie mit Ihrer verdammten Zigarette gekommen. Wenn nur das kümmerlichste Licht flackert, stürzt man sich sofort darauf und will wieder wissen, wie es weitergeht.«
    Beide starrten sie wieder auf die glatte Schneefläche hinaus, die an dieser Stelle noch unberührt war.
    »Erinnern Sie sich noch an die Panzer?«, fragte Hans. »Was würden wir tun, wenn sie jetzt kämen?«
    »Wir würden wieder kämpfen. Ich kann mich nicht kampflos in den Schnee walzen lassen.«
    Hans umschlang ihn plötzlich mit beiden Armen und drückte ihn heftig an sich. Gross war zu verblüfft und zu schwach, um sich zu wehren.
    »Lassen Sie mich hier nicht allein.« Hans atmete schwer. »Töten Sie mich, bevor Sie sich selbst die Kugel geben.«
    Gross machte sich frei, bedachte Hans mit einem schiefen Blick und sagte: »Ich werde Sie zu gegebener Zeit daran erinnern. Spätestens, wenn ich meinen Kreuzzug gegen die Generalität beginne. Diese Schweine! Diese Hurensöhne! Henker!« Übergangslos begann er zu lachen, als wäre seine Wut nur gespielt gewesen. »Es tut doch immer wieder gut, der Führung wenigstens die Verantwortung in den Hintern zu stecken. Es ist eine gefährliche Verharmlosung des Krieges, wenn man seine Faszination auf die unteren Dienst grade verkennt.« Er klopfte Hans auf die Schulter. »Solange wir noch den einen oder anderen Gedanken haben, der uns Freude bereitet, warten wir noch ein wenig mit unseren letzten Kugeln. Der richtige Zeitpunkt ist das Entscheidende bei jedem Angriff, auch bei einem Angriff auf sich selbst.«
    Er hatte noch über eine Stund e bis zur Ablösung, und Hans bestand darauf, ihm Gesellschaft zu leisten, obwohl Gross ihm versicherte, dass er mit erfrorener Nase dafür bezahlen würde. Sie wickelten sich die steifen Wollfetzen dichter um den Kopf, bis sie aussahen wie bandagiert. Der Atem dampfte gegen ihre Gesichtsmasken und verströmte schüchterne Wärme auf der Haut.
    So konnten sie nicht mehr reden, und die unausgesprochenen Worte dehnten sich in Gross’ schmerzendem Hirn.

 
     
     
     
     
     
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    H ans zerrte die brettharte Zeltbahn beiseite. Mörderischer Gestank schlug ihm entgegen. Er hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt und würde es wohl auch nie tun.
    Die Männer lagen eng aneinander gedrängt auf den Pritschen und schliefen. Gelegentlich schmatzte einer oder greinte im Schlaf. Rollo, laut schnarchend, tatscht e Bubi durchs verfilzte und verlauste Haar.
    Hans zündete sich eine vorletzte Z igarette an, der Rest einer Sonderzuteilung Attikah, die er als Offizier bei der letzten

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