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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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schwer und satt einige Krähen hockten. Es handelte sich um die Reste der beiden Soldaten, die gleich in der ersten Nacht versucht hatten, abzuhauen. »Schießen können sie besser.«
    Bautz nahm die Gasmaske ab. »Glaubst du, das ist nur ’ne Falle?«
    »Ja, und ’ne verdammt schlechte«, zischte Wunne. »Soll ich ’ne Salve rüberjagen?«
    »Bin froh, wenn du den Gurt halten kannst«, sagte Fritz. »Hier wird nur noch geschossen, wenn der Russe so nah ist, dass man das Weiße in seinen Augen sehen kann.«
    »Stimmt es, dass die Russen alle Gefangenen erschießen?«, fragte Bautz.
    »Nee. Die machen’s wie wir. Sie lassen sie verhung ern.«
    Von drüben schallte es wieder herüber:
     
    Hie r hockt ihr in der kalten Grube
    w ie unterm eigenen Leichenstein,
    und könntet in der warmen Stube
    zu Haus bei euren Lieben sein.
     
    Das sehr unglaubwürdige Versprechen auf eine rasche Rückkehr in die Heimat erbitterte Rollo dermaßen, dass er ohne Befehl eine seiner letzten Gewehrgranaten abschoss. Nach dem Einschlag verstummte die Stimme.
    »Spielt Tango, ihr Wichser, oder haltet die Fresse!«, schrie Rollo zu dem feindlichen Graben hinüber, ehe ihn die heisere Stimme des Leutnants unterbrach.
    Die Soldaten blinzelten nervös über die weiße Schneefläche. Zunächst geschah nichts. Wunne äußerte den Wunsch, wenigstens eine der Krähen abzuknallen, die er beinahe noch mehr hasste als die Russen; aber für so was war schon lange keine Munition mehr da.
    Plötzlich sprang ein kleines Pa njepferd aus dem russischen Graben und lief auf die deutschen Linien zu.
    Alle Soldaten starrten ungläubig, dann gierig auf das Pferd. Verzweifelt versuchten sie, es anzulocken.
    »Hier, komm, hier gutes Futter, hü, dawai!«, riefen sie durcheinander. Einige vergaßen jede Vorsicht und winkten über die Deckung, ehe sie von anderen nach unten gerissen wurden. Das Pferd verhielt, äugte unsicher zur russischen Linie zurück.
    »Katjuscha, komm her!«, schri en die Landser. Das war der einzige russische Name, der ihnen sofort einfiel, denn so hieß auch der berüchtigte Raketenwerfer des Feindes. Das Pferd trabte tatsächlich weiter auf die deutschen Stellungen zu.
    Gross und der Leutnant schrien nicht. Sie wussten, was kommen würde. Als das Pferd noch ungefähr fünfzig Meter entfernt war, hämmerte eine russische MG-Salve in seine rechte Seite und streckte es nieder. Es scharrte noch kurz mit den Hufen und blieb ziemlich genau in der Mitte zwischen den beiden Gräben liegen.
    Die Soldaten starrten auf den Kadaver, die Gier trieb ihnen das Wasser in Augen und Mund.
    »Diese Schweine«, stammelte Fritz. Er sah die vor Hunger fast irren Blicke der anderen Soldaten. »Macht bloß kein Scheiß!«
    Aus Rollos Zug sprangen plötzlich zwei Mann aus dem Graben und krochen, mit Messern in der Hand, auf den Kadaver zu, den sie als Deckung zu nutzen versuchten.
    »Kommt zurück!«, brüllt e Rollo. »Das schafft ihr nie!«
    »Hierher!«, schrie Fritz. »Kommt her, wir haben noch was zu fressen!«
    Einer der Soldaten zögerte, wollte umdrehen. Im selben Moment wurden sie beide von einer MG-Salve zerfetzt.
    Bautz nahm die Gasmaske ab.
    »Wir haben doch gar nichts zu essen«, sagte er.
    »Nee.« Fritz drückte seinen Kopf nach unten. »Hockt euch in den Graben, damit ihr das Pferd nicht seht. Ich pass schon auf.« Er schnäuzte sich und fügte grimmig hinzu: »Heute Nacht holen wir uns den Gaul, das versprech ich euch!«

 
     
     
     
     
     
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    D ie Zeichen standen nicht günstig für ihr Vorhaben. Der Wind hatte die Wolkendecke vertrieben, die Nacht war klar, und der Mond hatte kräftig zugenommen. Die Kälte, trocken und klirrend, lähmte die ohnehin schon steifen Glieder. Ein leichter Bodendunst und die vor der Stellung liegenden Gefallenen boten nur dürftig Deckung vor den scharfen Augen der mongolischen Posten, die ihren Köder sehr geschickt platziert hatten; das Pferd lag im Schnittpunkt der Schussfelder von drei MGs.
    Trotzdem wollte es Fritz in dieser Nacht versuchen. Er war nicht sicher, ob er selbst noch einen Tag lang den Anblick des lockenden Kadavers ertragen konnte. Außerdem hatten die Krähen bereits begonnen, ihnen Konkurrenz zu machen. Als Begleitung wählte er Bubi. Es war die gleiche Konstell ation wie bei seiner ersten Himmelfahrtsaktion für ein paar Fresskübel, und er hoffte, dass der Kleine ihm wieder so viel Glück bringen würde wie damals. Auch Bubi glaubte fest daran, dass die Fleischbeschaffung nur

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