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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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nächster Schritt fand keinen Boden mehr, und er fiel in eine Schwärze, die ihn wie ein wohltuend warmer Mantel umhüllte.
    Musk prüfte seinen Puls und lächelte mit einer Erleichterung, die zugleich etwas Bösartiges hatte. Nach einem kurzen Blick auf seine vor Erschöpfung zitternden Untergebenen, ließ er sich Gross auf die Schulter legen.
    So erreichten sie den Sportp latz, der mit einem dunklen Menschenbrei bedeckt war. Hier sammelten sich Reste versprengter Einheiten, die neu formiert einen weiteren Anlauf zum Sterben nehmen sollten.
    Musk führte sie über den Hof, den sie damals auf Hallers Befehl im Entengang überquert hatten. Nun waren sie bald soweit, dass sie nur noch auf Händen und Knie n kriechen konnten. Sie passierten zwei Wachposten und gelangten in einen ehemaligen Kerkerraum. Hinter schweren Eisengittern waren die Uniformen der Abgänge aus dem Lazarett gestapelt. Über mangelnde Auswahl konnte man sich nicht beklagen.
    Musk legte Gross auf einem Stapel Decken ab. »Zieht euch erst mal die Lumpen aus.«
    Er wandte sich an den Quartiermeister, eine sensible Seele, der deutlich anzumerken war, dass sie das Ausbessern und Sortieren der blutbefleckten Kleidung nur mit einem Höchstmaß an Alkohol ertragen konnte. Musk verlangte eine Leutnantsuniform, zweimal Obergefreiter – Bubi nahm seine Beförderung trotz der Erschöpfung mit matt glänzenden Augen zur Kenntnis –, Rollo und der bewusstlose Gross wurden auf dem gleichen Weg zu Feldwebeln befördert. Rollo würde eine von Musks Kompanien übernehmen, der Antrag für sein EK I war angeblich bereits unterwegs.
    Zuletzt legte Musk eine Scheibe Knäckebrot neben den noch immer bewusstlosen Gross. »Gebt ihm das, wenn er aufwacht, und klärt ihn über seinen neuen Dienstgrad auf.« Er sah auf die Uhr. »Antreten in dreißig Minuten.« Er quittierte die Uniformen und ging nach draußen.
    Die vier begannen sich in der Wärme eines rauchenden Kanonenofens die vor Dreck und Kälte steife Kleidung und die Unterwäsche vom Körper zu schälen. Die Stofffetzen wurden samt den Läusen in den Ofen gestopft.
    Von draußen hörte man die dünnen Klänge von Marschmusik. Die Instrumente waren durch die Kälte verstimmt.
    Rollo trieb zur Eile, offensichtlich wollte er sein EK I nicht gefährden.
    Gross’ Augenlider begannen zu flattern. Sein Mund verzog sich höhnisch unter den Klängen der Musik. Wahrscheinlich hielt er sie für eine Art neue Folter seiner Fantasie. Da niemand außer Rollo glaubte, dass Gross gesteigerten Wert auf seine Beförderung legte, beschlossen sie, ihn liegen zu lassen. Sie gingen nach draußen, und Rollo wunderte sich für einen Moment über den seltsamen Zufall, dass er, obwohl von besonderem Eifer erfüllt, zu Paraden regelmäßig zu spät kam.
    Aus der gestaltlosen Masse von knapp dreihundert Debilen, Dystrophikern, Herz-, Fuß- und Darmkranken, Fiebergeschüttelten und Asthmatikern waren inzwischen drei neue Kompanien geformt worden. Im Divisionsstab wurden sie mit zynischer Heiterkeit als »Musks schnelle Eingreiftruppe« bezeichnet.
    Die Soldaten wussten das nicht. Die Musik erinnerte sie an den Siegeswillen, mit dem sie alle einmal losmarschiert waren. Jetzt löste sie in ihnen Rührung, Scham, Hoffnung auf Essen und Wärme aus. Wo Musik gespielt wurde, und wenn sie noch so falsch und jämmerlich war, konnte es noch nicht zum Schlimmsten stehen.
    Hans stand in Leutnantsuniform vor der linken Kompanie, in der sich Bubi und Fritz befanden. Rollo stand voller Stolz vor der mittleren, während die rechte von einem Leutnant aus dem Divisionsstab geführt wurde, der zwar keine Fronterfahrung, dafür aber eine makellose Uniform besaß.
    Verabschiedet wurde das neu gebildete Bataillon von General Hentz und Oberstleutnant Laske. Ihre Mienen drückten in vorbildlicher Weise den Ernst der Stunde aus. Der General trug einen extra weiten Mantel, der seine nach wie vor beachtliche Körperfülle geschickt vor den hungrigen Augen der Männer kaschierte.
    Bubi stieß Fritz an, der vor Erschöpfung eingeschlafen war und mit seinem Gewicht die ganze Reihe ins Schwanken zu bringen drohte.
    Der General verzichtete diesmal auf eine Ansprache. Er wusste, dass die Männer keine Worte, sondern Brot von ihm erwarteten. Da er keines hatte, fuhr er nach einem knappen Gruß ab, sobald die Musik geendet hatte. Die angetretenen Soldaten sahen ihm erleich tert nach. Wenigstens mussten sie nicht mehr länger in der Kälte stehen.
    Doch sie hatten sich zu

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