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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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Maschinen verzichten müssen, die den Kessel am Morgen heil angeflogen und wieder verlassen hatten. Seine Angst vor einem unrühmlichen Ende in diesem Inferno verwandelte sich in Hass auf die zerlumpten Gestalten, die indirekt seine vielleicht letzte Möglichkeit zur Rettung vereitelt hatten.
    »Ach, das kenn ich schon!«, fauchte er Hans an. »Gefällt Ihnen seine niedliche Fresse? Haben wohl zu Hause ’n Fratz, der ihm ähnlich sieht?«
    Musk verfolgte den Ausbruch des Oberstleutnants voller Unbehagen, die Situation drohte zu eskalieren. Doch bevor er die Auseinandersetzung auf eine vernünftige Ebene verlagern konnte, machte ausgerechnet Fritz alle Rettungsbemühungen zunichte. Er packte sich den Jungen kurzerhand unter den Arm und versuchte mit ihm wegzulaufen.
    Hans und Musk rissen ihn zu rück, ehe die Feldgendarmen, ohnehin aufgebracht über die Verzögerung, eingreifen konnten. Rollo sprang ebenfalls hinzu, um seinen wild um sich schlagenden Freund zu beruhigen. »Lass mich los!«, schrie Fritz. »Ihr verdammten Schweine! Kindermörder!«
    Der Rest des Erschießungskommandos sah peinlich berührt zu Boden. Was sollte das Theater? War ja nicht das erste Kind, das in diesem Krieg krepierte! Wenn die oben das wollten, dann wurden eben auch Kinder abgeknallt.
    Musk beendete Fritz’ Geschrei mit einer heftigen Ohrfeige.
    »Maul halten, Reiser! Sonst ist Schluss für Sie!« Ärgerlich wandte er sich ab.
    Fritz starrte Sascha an, der von zwei Bewachern festgehalten wurde. Staub und Dreck hatten sich in die Poren seiner Haut gefressen, die dadurch die gleiche Farbe angenommen hatte wie die Augen. Er war zwölf Jahre alt und schien bereit zu sterben. Diese Bereitschaft und ein Soldatenschiffchen aus grobem Stoff, das auf seinem kahl geschorenen Kopf saß, waren alles, was er gegen die Kälte hatte.
    »Dachtest du, ich will gerettet sein von einem Deutschen?«, sagte der Junge hasserfüllt und versuchte Fritz in die Augen zu blicken.
    Fritz senkte den Kopf und weinte, und gleichzeitig fühlte er, wie unwahrscheinlich fremd ihm das Kind war, das er hatte retten wollen.
    Hans versuchte es ohne viel Hoffnung ein letztes Mal. »Herr Oberstleutnant …«
    »Wo kommen wir hin, wenn hier jeder die Befehle hinterfragt?«, wurde er scharf unterbrochen.
    Hans sah, wie Musk unmerklich den Kopf schüttelte, und schwieg. Wozu hatte er es überhaupt noch einmal probiert? Was hätte getan werden müssen, war so groß, so unendlich weit entfernt, dass man nicht einmal die Hand danach ausstrecken konnte. Wie sollte man diesen Haufen stumpfsinniger, vom Hunger verblödeter Landser zu einer Revolte anstacheln wegen einem einzigen halbwüchsigen Bauernjungen? Es war lächerlich, in diesem Inferno noch ein Menschenleben retten zu wollen. Eine sinnlose, sentimentale Geste.
    »Jeder an seinen Platz!«, befahl Laske, wobei er Fritz anstarrte. »Auch Sie! Sie werden schießen! Jetzt! Und wenn Sie nur einmal danebenhalten, können Sie sich gleich dazustellen!«
    Laske verließ mit ausgreifenden Schritten den Bannkreis von Wahnsinn und Insubordination und begab sich zurück zu seinem Kommandoplatz.
    »Ihr habt den Befehl gehört«, sagte Musk.
    Hans fasste Fritz am Arm. Der ließ sich willenlos an seinen Platz führen.
    »He, Fritz …«
    Fritz drehte sich mit tränenverschmiertem Gesicht zu Sascha um, der sehr klein, mit ängstlich zitternden Lippen zwischen zwei Feldgendarmen stand.
    »Hinter mein Haus ist Klappe vor Apfelbaum, da unten, meine zwei Hasen …«
    »Danke«, flüsterte Fritz. »Spassiba …«
    Ein dunkler Fleck bildete sich auf Saschas Hose, und er begann heftig zu schluchzen. Fritz’ Augen brannten. Ein älterer Feldgendarm ging vorbei. Er sah Fritz an und zuckte müde mit den Schultern. So ist nun mal die Welt, schien seine Geste zu sagen, und wir beide werden sie nicht ändern. Er ging zu den wartenden Gefangenen und stellte auf Laskes Befehl hin den Jungen Fritz gegenüber auf. Laske war zufrieden. Wie immer kurz vor einer Exekution verspürte er prickelnde Lust.
    Fritz sah auf die kleine Gestalt, die vor seinen Augen zu einem undeutlichen Fleck verschwamm. Ihm wurde schwindlig, er drohte zu stürzen, Hans stützte ihn und schob sich unbemerkt auf seinen Platz, als Laske sich für einen Moment Musk zuwandte, um ihm die Erlaubnis zum Feuerbefehl zu erteilen. Mehr konnte er nicht für Fritz tun.
    »Entsichern! Durchladen! Legt an!«
    Hans hatte den Jungen im Vis ier. Er wusste, wenn er danebenschoss, waren er und Fritz dran,

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