Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
Vom Netzwerk:
früh gefreut.
    »Bataillon in fünfzig Meter Abstand zur Nordseite in Dreierreihen antreten«, kommandierte Musk.
    Die drei Kompanien traten vor der Nordseite des Platzes an, der von einem rund fünf Meter breiten Graben begrenzt wurde.
    Erstaunt und misstrauisch sahen die Soldaten, wie eine Gruppe von gut hundert russischen Gefangenen von Feldgendarmen aus der Festungsanlage und vor den Graben getrieben wurde. Die meisten hatten nur zerrissene Hemden und Hosen an. Eine Frau riss sich mit abgehacktem Gelächter das Hemd vom Leib. Ihr ausgemergelter Leib mit den leeren, faltig herabhängenden Brüsten, dem Loch der Bauchhöhle und den auf einer Seite blutig unterlaufenen Rippenbögen veranlasste einige Landser, die Augen zu schließen. Sie wurde von einem Mann des Wachpersonals durch einen Schuss in den Hinterkopf niedergestreckt. Etwas Blut spritzte auf seine weiße Armbinde, die ihn als Ordnungshüter kenntlich machte.
    Bubi, der neben Fritz in der vorderen Reihe der ersten Kompanie stand, sah ihn entsetzt an. »Sollen wir etwa …?«
    Die Aufstellung der Gefange nen und der Aufmarsch der Soldaten ließen wenig Zweifel.
    »Ist doch ’n guter Einstand.« Frit z’ Gesicht verzerrte sich zu einer unglücklichen Grimasse. »Da weiß man gleich wieder, wo man hingehört.«
    Laske verlas ein kurz gehaltenes Urteil. Hans fiel erst jetzt auf, dass es sich um denselben Offizier handelte, der sie auf dem Rückmarsch von Marinowka mit seinem Wagen von der Straße getrieben hatte. Sein Auftreten hatte sich seitdem nicht verändert.
    »Im Namen des deutschen Vol kes werden diese Leute wegen Sabotage zum Tod durch Erschießen verurteilt. Vollstrecken!«
    »Von wegen Sabotage«, murmelte Fritz’ Nebenmann mit weiß gefrorenen Wangen. »Wir mussten gestern schon drei Stunden lang welche abknallen. ’s gibt nix mehr zu fressen, das ist der Grund. Wir kriegen nicht mal Sonderrationen dafür.«
    »Ich … ich kann das nicht«, flüsterte Bubi.
    »Wenn du nicht schießt, stellen sie dich dazu«, gab Fritz ebenso leise zurück. »Kannst eh nix mehr machen. Die armen Schweine haben’s wenigstens hinter sich.«
    Von jeder Kompanie wurde ein Zug als Erschießungskommando bestimmt. Der Einfachheit halber traf es immer den ersten Zug. Fritz und Bubi gehörten dazu. Vor jeden Zug wurden zehn Gefangene geführt. Die erste Reihe eines jeden Zugs, praktischerweise ebenfalls zehn Mann, trat vor. Die Blicke von Hans und Fritz trafen sich. Sie wussten, dass es sinnlos war, sich zu widersetzen.
    Doch dann entdeckte Fritz die kle ine Gestalt mit den viel zu großen Füßen unter den Gefangenen. Die Zehen hingen schwarz aus den durchlöcherten Schuhen. Es war tatsächlich Sascha.
    Ehe ihn jemand zurückhalten k onnte, lief Fritz los und durchbrach mit wenigen schweren Schritten die Kette der Feldgendarmen. »He, Sascha!« Schnaubend fasste er den Jungen am Arm und zerrte ihn zwischen den anderen Gefangenen vor. »Herr Leutnant, sehen Sie mal, wer da ist!«
    Er schickte sich an, mit Sascha den Todeskreis der Bewacher zu verlassen. »Das ist einer von uns«, erklärte er leutselig. »Der hat für uns spioniert.«
    Die Gefangenen begannen in verzweifelter Hoffnung auf Mitleid zu schreien. Laske brüllte Befehle und ließ auf sie anschlagen. Hans drängte sich durch die Traube der Feldgendarmen, die sich um Fritz gebildet hatte.
    »Ich kenne den Jungen, der ha t für uns gearbeitet.« Hilfe suchend wandte sich Hans an Musk, der ebenfalls hinzutrat. »Herr Hauptmann, tun Sie was! Ich verbürge mich für den Jungen!«
    Musk begriff. Der Junge war das Gnadenopfer, das sie für ihr Gewissen brauchten. Wenn man ihnen den Jungen schenkte, würden sie die restlichen Gefangenen widerspruchslos erschießen. Man musste aufpassen, dass die Sache nicht aus dem Ruder lief. Dieser Haufen Halbtoter war es wahrhaftig nicht wert, dass die noch einigermaßen kampffähigen Soldaten aneinander gerieten.
    Er nickte dem Leutnant zum Zeichen seines Einverständnisses unmerklich zu.
    Doch dann vernahmen sie die wütende Stimme des Oberstleutnants. »Was ist das hier für eine verdammte Schweinerei? Wir haben noch ’ne Menge zu erledigen!«
    »Entschuldigung, Herr Oberstleutnant, aber mein Leutnant verbürgt sich für den Kleinen hier.«
    Laske roch nach Pfefferminzpastillen und Pflichterfüllung, die nur unzureichend seine sadistische Mordlust verdeckten. Er hatte wegen dieser verdammten Erschieß ung auf einen bereits sicher geglaubten Platz in einer der wenigen

Weitere Kostenlose Bücher