Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
möglich gehalten werden.
Einer der Offiziere wagte einz uwerfen, dass Gumrak nur ein unberührtes kleines Schneefeld sei, geeignet für Segelflugzeuge, doch keineswegs …
Laske schnitt ihm das Wort ab. Gumrak werde hergerichtet, auch für schwere Transportmaschinen. Er ging, ohne Gelegenheit zu weiteren Fragen zu geben.
Mit hastigen Schritten betrat Laske sein Quartier, stauchte die Ordonnanz zusammen und ließ sich sein Feldwaschbecken füllen. Mit fahrigen Händen verteilte er lauwarmes Wasser auf seinem Gesicht und betrachtete es im Spiegel. Er sah blass aus.
Sein bereits stattgegebenes Gesuch, ausgeflogen zu werden, war angesichts der akuten Notlage von höchster Stelle widerrufen worden. Diese verdammte Erschießung! Jetzt blieben ihm nur noch we nige Tage Zeit, denn der Flughafen Gumrak war allenfalls gut für eine Bruchlandung.
Vergeblich versuchte er seine Magenwände mit etwas Natron zu beruhigen. Pitomnik musste unbe dingt solange wie möglich gehalten werden! Zu diesem Zweck beschloss er, dem I a, zu dem er ganz gute Verbindungen hatte, zu empfehlen, die Gruppe Musk als Verstärkung dorthin zu verlegen. Dies ließ sich problemlos damit begründen, dass man versuchen müsste, noch möglichst viele Verwundete auszufliegen.
Nachdem er diesen Entschluss gefasst hatte, griff Laske zum Telefon und ließ sich mit dem I a verbinden.
Die zurückgebliebenen Offiziere umstanden ratlos den Kartentisch. Was aus den Truppenteilen werden sollte, die sich außerhalb von Musks neuer Linie befanden, war ihnen nur allzu klar. Seltsamerweise vermittelte ihnen der vom Hauptmann gezogene Bleistiftstrich ein irrationales Gefühl der Sicherheit. Jemand tippte bedauernd auf den Flugplatz. Von den armen Schweinen, die zu seiner Verteidigung abkommandiert waren, würde es kaum einer zurück in die Stadt schaffen.
Hans sah sich um. In diesem Raum war er verhaftet worden. Er konnte sich an Einzelheiten erinnern, aber seine damalige Verzweiflung kam ihm nun befremdlich vor. Die Erschießung der russischen Gefangenen lag wie eine Schlinge um seinen Hals, die sich langsam und unaufhörlich zuzog. Er konnte das Gesicht des Jungen nicht mehr unter den vielen anderen ausgraben, die wie ein schlecht eingelegter Film durch sein Bewusstsein flimmerten – ein Film, der mit dem Gesicht der Partisanin endete. Obersturmbannführer Roschmann hatte genau gewusst, was aus ihm werden würde: ein Erfüllungsgehilfe, ein Henkersknecht. Deswegen hatte er ihn gehen lassen.
Er spürte Musks Atem in seinem Nacken. »Alles, was wir hier tun, tun wir für Deutschland«, sagte der Hauptmann. »Vergessen Sie das nie!«
Hans drehte sich zu ihm um. Musk schaute ihn lächelnd an, und Hans verstand: Dieses Lächeln suggerierte ihm, durch eine jahrhundertealte Tradition mit dem Hauptmann verbunden zu sein, ob er wollte oder nicht, und endlich Gnade vor dessen unerbittlichen Augen gefunden zu haben; dass er aufgenommen war in den Geheimbund der Unbesiegbaren, zu dem auch Gross gehörte, gleichgültig, wie sehr der sich selbst dafür hasste.
»Ich verlasse mich auf Sie, Herr von Wetzland.«
Ja, der Hauptmann konnte sich auf ihn verlassen. Er hatte die Feuertaufe bestanden. Endlich war er das, was er immer hatte sein wollen: ein deutscher Soldat und damit fähig, alles zu tun, wenn es dem befohlenen Ziel diente.
Erschöpft schleppte er sich in sein Quartier zurück, und das Grauen tickte in ihm, gleichmäßig wie eine Uhr.
Er betrat den Unterstand. Die Männer lagen auf den Pritschen und verheizten Reste von Autoreifen. Dementsprechend stank es. Niemand fragte ihn nach Neuigkeiten. Jeder wusste, dass sie nicht erfreulich sein konnten. Ein junger Kerl mit dem zerknitterten Gesicht eines alten Mannes begann krächzend für die Vergebung ihrer Sünden zu beten. Sein Nebenmann schlug ihm matt auf den Hinterkopf. Irgendwo weinte jemand im Schlaf.
Fritz kam aus dem Halbdunkel auf Hans zu. Er vermied es, ihn anzusehen, und sagte nur: »Holen wir uns wenigstens die Hasen.«
Hans brauchte einen Moment, um zu begreifen, dann nickte er. Rollo, Gross und Bubi erhoben sich von den Pritschen.
66
K urze Zeit später befanden sie sich im ehemaligen Garten des Hauses, in dem Sascha mit seiner Familie gelebt hatte. Dank Haller und Slesina war es ebenso niedergebrannt worden wie der Rest der Häuser in dieser Straße. Sie hatten es nur noch an dem frischen Grab erkennen können, in dem Saschas Mutter lag. Bubi faltete zögernd
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