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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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»Die Ratten verlassen das sinkende Schiff.« Angriffslustig baute er sich dicht vor Hans auf, der mit hängenden Schultern vor ihm stand. »Sie haben doch immer gesagt, wir müssen kämpfen«, keuchte er, »damit die Russen sich nicht rächen. Wir müssen kämpfen für die Heimat.«
    »Eine Heimat, die das hier zulässt, auf die scheiß ich!«, schrie ihm Hans mit zu Fäusten geballten Händen so laut ins Gesicht, dass Rollo erschrocken zurückwich.
    Hans wandte sich ab. Die anderen sollten nicht sehen, wie sehr er die Fassung verloren hatte. Verz weifelt versuchte er, einen vernünftigen Gedanken zu fassen.
    »Die Einzigen, die von diesem Gemetzel profitieren, sind die, die Granaten und Panzerwagen dafür liefern«, flü sterte er, und obwohl er wusste, dass es richtig war, was er sagte, half es ihm nicht; denn er hatte sein ganzes Leben nichts anderes gelernt, als die Lüge zu lieben, sie um so heftiger zu lieben, je stärker er empfand, dass sie nicht wahr sein konnte, sie in einer unerfüllbaren Sehnsucht zu lieben, die so viel schillernder und schöner war als die kleine schmutzige Wahrheit.
    »War alles Lüge«, murmelte er , »und die zu Hause wollen’s genauso wenig wissen wie wir.« Er sah die anderen aus großen Augen an, und Erstaunen lag in seiner Miene, als hätte er das eben erst begriffen. »Die wollen es gar nicht wissen. Niemand will es wissen!«, schrie er, und seine Stimme hallte laut durch die Nacht.
    »Nicht so laut, Mensch«, zischte Fritz.
    Hans presste eine Hand vors Gesicht, und es sah aus, als wollte er sich seine Worte zurück in den Mund stopfen.
    Rollo wich langsam zurück. Seine Augen jagten von einem zum andern. Er hatte immer noch die beiden abgezogenen Hasen in den Händen, mit denen er besonders jämmerlich aussah. »Ihr dreckigen Feiglinge! Ihr wollt nur die eigene Haut retten!«
    »Genau«, gab Fritz heftig zurück. »Und wenn du für die Verbrecher hier verrecken willst, kannst du’s allein machen!«
    Rollo warf die Hasen in den Schnee, zog die Pistole und lud sie durch. »Ich schieß auf jeden, der sich von der Stelle rührt. Das ist mein voller Ernst.«
    Als Antwort stapfte Fritz direkt auf ihn zu. »Dann schieß doch, du blöde Sau!« Er tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. »Aber schieß hier mitten rein. Weil, wenn du nicht gut triffst, schlag ich dich tot.«
    Rollo schluckte. »Mensch, Fritz! Bleib stehen!«
    Fritz rammte ihm die Faust ins Gesicht, und Rollo ging zu Boden. Fritz nahm ihm die Waffe weg und sah Hans auffordernd an. Hans schloss die Augen, aber das half nichts. Er riss sich zusammen.
    »Fesselt ihn.«
    Erleichtert stellte er fest, dass sich Gross bückte, um Fritz zu helfen. Sie banden Rollo die Hände zusammen und zerrten ihn auf die Beine.
    »Fritz, wir sind doch Freunde!« Fritz drehte den Kopf weg. Rollo sah die anderen der Reihe n ach an. »Wenn ihr jetzt vernünftig seid, vergessen wir die ganze Sache. Ehrenwort.« Wütend wies er mit dem Kinn auf den Leutnant. »Der macht hier nur auf Kameradschaft, weil ihm der Arsch auf Grundeis geht!« Seine Stimme wurde lauter. »Zu Hause fasst der dich nicht mal mit der Kneifzange an. Fritz, wir sind doch die Malocher, ich hab immer den Arsch für dich hingehalten!«
    Fritz stopfte ihm einen Lumpen, den er als Taschentuch benutzte, in den Mund. »Du bist einfach zu hohl«, sagte er und fügte leise und traurig hinzu: »Du bist ’ne arme Sau, Rohleder.«
    »Was machen wir jetzt mit ihm?«, fragte Hans sachlich.
    »Macht euch keine Sorgen , ich leiste ihm Gesellschaft.«
    Hans sah Gross lange an. Er hatte es die ganze Zeit geahnt.
    »Ich staune!« Gross ging um den Leutnant herum und verzog höhnisch das graue Gesicht. »Sie tun es also wirklich. Ich staune! Wie doch die Hoffnung auf Rettung Ideale wieder zum Blühen bringt, wenn auch unter anderen Vorzeichen.«
    »Warum hören Sie nicht auf damit und kommen einfach mit?«
    »Den Gefallen kann ich Ihn en und mir nicht tun, Herr Leut nant.« Gross blieb stehen. »Hätten wir die Schlacht gewonnen, wir hätten siegestrunken im Blut unserer Opfer gebadet. Wir haben’s nur durch die Niederlage begriffen. Also haben wir nichts begriffen.« Seine höhnische Grimasse verschwand, und auf einmal sah er nur noch traurig aus. »Einsicht kann man nur dann erlangen, wenn man die Wahl hat. Wir haben keine Wahl mehr, also ist auch keine Einsicht mehr möglich. Wir kapitulieren, ohne etwas einzusehen.« Er packte Hans am Arm. »Wenn Sie durchkommen«, flüsterte er,

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