Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
und seine Augen leuchteten fanatisch auf, »tun Sie alles, damit die Schweine, die uns regieren, so schnell wie möglich umgelegt werden. Versprechen Sie’s! Schwören Sie’s!«
Hans nickte tatsächlich, obwohl er wusste, dass er viel zu unbedeutend und feige dazu war.
Gross wusste es auch. Mit ein em verlegenen Lachen trat er zurück. »Lassen Sie den Unsinn und genießen Sie Ihr Leben. Das ist das Vernünftigste, was Sie tun können.«
Hans wusste, so wie jetzt würde er ihn immer vor sich sehen, klein, windschief, auf den verbrannten Trümmern eines Dorfes, zum Skelett abgemagert, als wä re er dem Tod zum Hohn noch einmal seinem Grab entstiegen, mit zwei glimmenden Funken in den Augenhöhlen.
»Lohnt sich doch nicht, für die Schweine hier abzukratzen«, sagte Fritz.
Gross nickte ihm freundlich zu. Er hatte Fritz immer gemocht. Fritz war der Einzige in dem Haufen, von dem man hoffen konnte, dass er den Krieg einigermaßen unbeschadet überstehen würde – wenn er am Leben blieb. »Vor einem Jahr wär ich sofort mitgegangen, aber jetzt ist es zu spät für mich.« Er sah die drei der Reihe nach an. »Haut ab, bevor’s auch für euch zu spät ist!«
Hans reichte ihm zum Abschied einen der Passierscheine. »Hier, falls du’s dir noch anders überlegst.«
Dann ging er davon. Die beiden anderen folgten ihm.
Gross hatte plötzlich den irrsinnigen Wunsch, den anderen einfach hinterherzulaufen. Stattdessen schob er Rollo vor sich her in die Reste des niedergebrannten Hauses und warf die zwei Hasen neben ihn.
Bubi, schon ziemlich weit weg, drehte sich noch einmal um und winkte zurück. Gross zündete den Passierschein an, legte kleine Holzstückchen in die Flammen.
»Ich glaub fast, du wirst dei ne Wette gegen den Leutnant verlieren, Rohleder.« Gross betrachtete Rollos Gesicht und beschloss, noch eine Weile zu warten, bis er ihm den Knebel aus dem Mund nahm. »Ich hol mal was Brennbares, damit uns der Arsch nicht abfriert.«
67
V orsichtig pirschten sich die drei Deserteure durch die letzten Häuserskelette. Man hatte das Dorf etwas voreilig dem Erdboden gleichgemacht; jetzt hätte man Brennholz und Quartiere gut gebrauchen können.
Sobald sie die letzten schützenden Ruinen verlassen hatten, traf sie ein eisiger Nordwind. Fritz starrte in die Schneewüste vor ihnen und überschlug kühl, wie viel Zehen ihn der Weg in die Freiheit kosten würde. Die Entfernung zum Flugplatz Pitomnik schätzte er etwas zu optimistisch auf zwanzig Kilometer. Alle fünf Kilometer ein Zeh, machte vier Zehen, beinahe ein halber Fuß. Aber es wäre ihm selbst einen ganzen Fuß wert gewesen, hier rauszukommen.
Da er immer noch der Kräftigste von den dreien war, ging er ganz rechts, von wo der Wind auf ihn einbiss. Die beiden anderen hielten sich so gut es ging in seinem Windschatten.
Sie verließen den Ort und erreichten den Eingang einer schmalen Schlucht, die ein Bach tief in die Steppe gegraben hatte. Hier lagen, in die Erde gegraben, holzvertäfelt, mit Eisenbahnbohlen selbst gegen Luftangriffe gesichert, die Stabsquartiere. Gut genährte Wachen in warmen Wintermänteln patrouillierten vor den Eingängen.
Fritz, der die geringsten Skrupel und damit ganz automatisch die Führungsrolle übernommen hatte, wies auf das Schneefeld links neben der Schlucht. Es war sicherer, die Wachen zu umgehen, aber auch bedeutend anstrengender.
Schon nach wenigen Metern brach er durch die gefrorene Schneedecke und sank bis über die Knie ein. Mühsam arbeiteten sie sich hintereinander vorwärts. Ihr Puls jagte, vor ihren Augen flimmerte es. Fritz blieb erschöpft stehen, drehte sich zu den beiden anderen um und sah, dass Bubi seine Maschinenpistole weggeworfen hatte.
»Hol die MPi zurück!«, keuchte er.
»Wieso?« Der Kleine schaute ihn aufsässig an. »Auf wen schießen wir denn noch? Auf die eigenen?«
»Vielleicht. Hol sie, oder du bleibst hier.« Fritz packte Bubi an der Schulter und stieß ihn zurück.
Bubi schleppte sich in der Spur davon und hoffte, dass er die verfluchte MPi vor nicht allzu langer Zeit weggeworfen hatte. Er wusste es nicht mehr.
Hans starrte über das unberührte weite Schneefeld. »Das schaffen wir nie«, flüsterte er.
»Dann krepieren wir«, sagte Fritz. Sie sahen sich an. Reif hatte sich auf ihre Gesichter gelegt. »Wir haben unser Leben so oft für diese Schweinehunde riskiert, jetzt tun wir’s wenigstens einmal für uns.«
Bubi kam schwankend mit seiner MPi
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