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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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ihre Uniform. Dann stutzte er, zog einen an den Ecken angesengten, halb geschriebenen Brief aus der starren Hand, überflog die ersten Zeilen und stieß einen ungläubigen Laut aus. »Hör dir das an!« Er las: »Eins steht fest, der Sieger heißt Deutschland. Jede Schlacht fordert ihre Opfer, und Euer Sohn hat die Ehre, an entscheidender Stelle dabei zu sein. Voller Stolz werde ich bald vor Euch treten. Auch Onkel Willi werde ich beweisen, wer ich bin. Er hat uns Jungen immer wieder gesagt: Wer nie Soldat gewesen, war nie ein Mann! Ich denke immer an diese seine Worte. Wir wissen, was für das Vaterland auf dem Spiel steht. Wir lieben unsere Heimat mehr …« Fritz nickte grimmig. »Dann war der Arsch ab.«
    »So denken immer noch die meisten«, sagte Hans.
    »Ich nicht.« Fritz zerknüllte den Brief und warf ihn in die Flammen. Mit seinem Messer öffnete er eine der Wunden des Toten wieder. »Das Blut riecht dermaßen überzeugend«, knurrte er und tunkte ein Verbandspäckchen hinein, »da krieg ich zwei Plätze.«
    Gegenseitig legten sie sich die blutigen Verbände an.
    Ein neuer Konvoi rollte auf der Straße vorbei. Hans warf einen vorsichtigen Blick nach draußen. Sturmgeschütze, mit Möbeln und Hausrat bepackt, walzten durch den Schnee. Dahinter ächzten Lastwagen, beladen mit Schreibern, Funkern, Ordonnanzen, Russinnen. Die Stäbe zogen sich in die Stadt zurück. Ein sicheres Zeichen, dass die Westhälfte des Kessels endgültig verloren war. Für diejenigen, die seine morschen Ränder verteidigten, gab es kein Zurück mehr und auch keine Kapitulation. Sie würden irgendwo dort draußen in der Schneewüste sterben.
    Pitomnik konnte jeden Tag fallen. Sie mussten es riskieren. Aus zwei Karabinern und den Koppeln der Toten fertigten sie ein Tragegestell und legten Bubi darauf. Auf seiner Stirn glänzten feine Schweißtropfen. Er hat Fieber, dachte Fritz, wir müssen uns beeilen.
    Sie trugen ihn nach draußen, wobei Fritz über eine der Leichen stolperte und fast gefallen wäre. Noch bevor sie die Straße erreicht hatten, verkrampften sich die Res te seiner Muskeln, doch er ignorierte den Schmerz ebenso wie den Hunger und die Kälte, bis wieder die allgemeine Taubheit bei ihm einsetzte.
    »Wenigstens haben wir jetzt ’ne optimale Tarnung«, keuchte er.
    Hans antwortete nicht.
    Schritt für Schritt marschierten sie in eine neue Gefühllosigkeit hinein.

 
     
     
     
     
     
    68
     
     
    D er Flugplatz Pitomnik lag bereits im Bereich der russischen Artillerie. Auf dem Flugfeld, begrenzt durch Versprengtensammelstelle, Lazarettzelte und Stacheldraht, herrschten chaotische Zustände. Schwerverwundete lagen im Freien und warteten auf den Abtransport. Feldgendarmen, verstärkt durch Ordnungstruppen, führten unerbittliche Kontrollen durch. Die aus den Lkws quellenden Verwundeten wurden durch Zelte geschleust, in denen Ärzte stichprobenartige Kontrollen durchführten, erst dann durften die Verletzten auf das stark gesicherte Flugfeld. Dort standen Hunderte dicht aneinandergedrängt auf freiem Feld, die meisten seit Stunden. Die verzweifelte Hoffnung auf einen der letzten Plätze überwog die Angst vor den Erfrierungen. Sobald sich ein fremder Klang in das drohend näher rückende Grollen der Front mischte, blickten sie flehend in den bleiernen Himmel.
    Hans und Fritz zeigten einem Vor posten die Papiere. Ihre schmutzigen, blutverkrusteten Verbände um Kopf und Arme unterschieden sich nicht von denen der anderen. Sie durften passieren, aber die Karabiner, aus denen sie das Tragegestell für Bubi gebastelt hatten, mussten sie zurücklassen. Sie fassten ihn unter den Armen und schleppten ihn zum Ende der langen Kolonne vor einem schmalen Zelteingang. Er war zu schwach, um zu stehen, und sie waren zu schwach, um ihn lange zu halten. Sie legten ihn in den Schnee.
    Hans zuckte heftig zusammen, als ihm plötzlich jemand auf die Schulter tippte. Langsam drehte er sich um und starrte in das Gesicht eines Feldgendarmen. Er fühlte, wie sich die gesamte Kälte seines Körpers in seinem Magen zusammenballte, und glaubte zu fallen.
    »Offiziere dort rüber, Herr Leutnant«, sagte der Gendarm und wies auf eine weitaus kürzere Schlange. Hans starrte ihn verwirrt an.
    Fritz atmete tief durch. »Du fliegst Erster Klasse«, sagte er. »Geh schon!«
    Hans fühlte sich unendlich schwach und erschöpft, der Boden schwankte unter seinen Füßen, und er war sicher, Fritz nie wiederzusehen. »Es tut mir leid«, flüsterte er.
    Fritz sah

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