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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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zu den wenigen, die sich nicht mit Trinken und Rauchen die Zeit vertrieben; er schrieb einen Brief. Hans bemerkte, dass er einen Ehering trug.
    »An Ihre Frau?«
    Feldmann nickte. »Jawohl, Herr Leutnant.«
    Er schrieb weiter.
    Hans dachte an seinen eigenen Brief, der immer noch unvollendet im Tornister ruhte. Er hatte in den letzten Tagen nicht mehr die Kraft gehabt, das eintönige Grau der russischen Landschaft in schwungvolle Worte zu kleiden. Wie hatte er sich auf den Augenblick vor seinem ersten Großangriff gefreut! Geträumt von geheimnisvollen Stimmungen, schwankend zwischen Erregung und Melancholie, einzigartig und nur durch die Nähe des Todes möglich. Und in Wirklichkeit? Gleichgültig ließ man die Sekunden verrinnen, dumpf fixierte man eine abgerissene Trosse und eine vom Granatfeuer zerfetzte Maschine … Die Kraft, die hinter dieser Zerstörung gelegen haben musste, war längst wieder verflogen. Das Ganze wirkte wie eine heruntergekommene Baustelle und die Soldaten wie übermüdete Hilfsarbeiter, die auf die nächste Schicht warteten.
    Selbst die Kälte war nichts Au ßergewöhnliches. Die klamme Uniform war zwar unangenehm, aber erträglich. Die zerfetzten Körper der letzten Tage waren bereits im Nebel der Vergangenheit zu unwirklichen Miniaturen geschrumpft, sie wirkten wie Puppen, denen das Unterbewusstsein zwar noch die eine oder andere mechanische Bewegung, aber längst kein eigenes Leben mehr, keinen selbstständigen Atem mehr zugestand.
    Seltsam. Lag es tatsächlich nur daran, dass er keinen der Toten näher gekannt hatte? Wie hatte er sie in den wenigen Stunden vor ihrem Ende geliebt und bewundert! Seine gesamte Erziehung beruhte darauf, dass der Tod fürs Vaterland eines der schönsten und erhabensten Dinge auf dieser Welt war, ein Opfergang, tiefster Trauer und Anteilnahme wert, und er hatte daran geglaubt. Doch nun saß er hier zwischen diesen Schrotthalden und war nicht fähig, das Geringste zu empfinden.
    Lag es daran, dass der Tod so anonym und unpersönlich über diese Männer gekommen war, dass er so gar nichts Heroisches an sich gehabt hatte?
    Mit der Partisanin war es anders gewesen. Sie war der erste Mensch, den er getötet hatte. Er würde sie immer in besonderer Erinnerung behalten. Abgesehen von den Ungeheuerlichkeiten, die in diesem Land hinter dem Rücken und – davon war er überzeugt – ohne das Wissen des deutschen Generalstabes stattfanden, beschäftigte ihn am meisten, dass er ihr Gesicht nie gesehen hatte, bevor es bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden war. Er hatte sich bereits des Öfteren dabei ertappt, wie er versuchte, die blutige Masse mit Fantasiegesichtern zu ersetzen, aber es gelang ihm nicht. Es war auch nicht richtig. So wie es nicht ric htig war, dass er für die gefallenen Kameraden nichts empfand. Er würde sich zu mehr Schmerz erziehen müssen.
    Feldmann blickte von seinem Bri ef auf und lächelte ihm zu. »Eigentlich idiotisch, ihr noch mal zu schreiben, Herr Leutnant. Ich werde vor diesem Brief zu Hause sein. Nächste Woche krieg ich Urlaub, den ersten seit einem Jahr.« Er wies auf das Papier. »Aber ich kann’s mir einfach nicht abgewöhnen.« Er rückte etwas heran. »Wir kommen aus Woronesch, Herr Leutnant. Das wird mein erster Angriff in Stalingrad. Glauben Sie, dass es schwer wird?«
    Hans sah ihn lächelnd an. Feldmann war ihm auf Anhieb sympathisch. Fast wie ein kleiner Bruder, den man beschützen musste.
    »Je schneller wir es schaffen, umso eher kommen wir alle nach Hause.«
    Pflüger unterbrach ihr Gespräch. Der Hauptmann erwartete sie.

 
     
     
     
     
     
    9
     
     
    S ie traten hinter die Zeltbahn. Hauptmann Herrmann Musk war um die vierzig, hager, früh ergraut, trug das Eiserne Kreuz Erster Klasse und besaß – ungewöhnlich für einen Fronthauptmann – nur noch den linken Arm. Die Soldaten konnten ihre Verwunderung darüber nicht verbergen.
    Musk wandte sich lächelnd an den jungen Leutnant. »Wie ich sehe, sind wir beide erstaunt. Ich über einen stark dezimierten Zug und Sie über einen dezimiert en Hauptmann. Willkommen in Stalingrad.«
    Unkonventionell drückte er mit seiner Linken die Hände einiger Neuankömmlinge, strahlte Selbstsicherheit und Kompetenz aus. Hans von Wetzland wusste sofort, dass er hier den ersten wirklichen Helden vor sich hatte. Entschlossen trat er einen Schritt vor und bat um die Erlaubnis, berichten zu dürfen, was sich bei der Verfolgung der russischen Partisanen zugetragen hatte.
    »Vergessen

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