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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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einen Wink von ihm schnallten die Sanitäter den Amputierten vom OP-Tisch und trugen ihn weg. Der Arzt sah ihnen nach. Seine Wangen spannten sich spasmisch, sodass sich in regelmäßigen Abständen scharfe Falten zu beiden Seiten der Nasenflügel in die Haut gruben. »Wahrscheinlich schaffen sie ihn gleich raus«, sagte er gleichgültig. »Obwohl sie das Gegenteil behaupten. Sie sabotieren meine Arbeit hinter meinem Rücken. Das ist die einzige Freude, die ihnen noch geblieben ist. Ich lasse sie ihnen. Warum auch nicht?«
    Sein Gesicht glättete sich, und es fielen Sätze von gespenstischer Höflichkeit und Normalität. Sein Name lautete Federico Bracci. Er war Stabsarzt bei der achten italienischen Armee gewesen, die vor sechs Wochen von den Russen überrannt worden war. Es war ihm gelungen, sich zu deutschen Auffangstellungen durchzuschlagen und er hatte geglaubt, gerettet zu sein. Das war ein Irrtum gewesen.
    »Ihre Kollegen waren der Ansicht, dass man dringend Ärzte in Stalingrad braucht, also wurde ich eingeflogen. Aber hier braucht man keine Ärzte. Hier braucht man Totengräber.« Seine Hand fuhr erschöpft durch die Luft. »Legt ihn auf den Tisch, wenn ihr wollt. Ich brauche eine Pause. Ich stehe hier seit vierzehn Stunden.« Er verschwand hinter einer Zeltbahn.
    Rollo starrte ihm wütend nach. »Hier lass ich den Hauptmann nicht. Wir fahren in die Stadt.«
    »Ja.« Gross entblößte seine Zahnstümpfe. »In der Stadt sind die Ärzte einfach besser als auf dem Land.«
    »Halt’s Maul! Wir finden einen deutschen Arzt. Frag ihn, er muss es ja wissen!«
    Gross zuckte mit den Schultern und umfasste die Beine des Hauptmanns. Sie trugen ihn wieder zurück, wobei sie die Füße groteskerweise im Gleichschritt bewegten. Ein Slapstick des Grauens, schoss es Hans durch den Kopf. Das Entsetzen hatte nur in den Visionen etwas Großartiges, Erhabenes; nüchtern betrachtet war es klein, schmutzig, erbärmlich, voll unfreiwilliger Komik.
    Mit stechenden Kopfschmerzen blickte er sich um und wünschte sich, wieder wahnsinnig zu werden. Das ist meine Art von Religion, dachte er. Der Begriff legte einen gutartigen Impuls in ihm frei, sinnlos, aber gut, nach althergebrachten Wertvorstellungen sogar vernünftig.
    Zurückgeworfen in frühere Denkstrukturen und Handlungsbahnen, versuchte er, den Arzt zu finden, um den Hauptmann amputieren zu lassen. Er riss den mürben Vorhang beiseite, hinter dem Bracci verschwunden war, und betrat einen mit Zeltbahnen abgeteilten Raum, in dem einige Metallpritschen mit verschmutzten Decken standen. Ein geblümtes Kopfkissen fiel aus dem Rahmen. Auf dem Boden lagen leere Konservendosen.
    Im nächsten Abteil befand sic h eine Art Küche. Auf einem kalten Herd stand ein Kessel mit gefrorenem Wasser, daneben lag ein Haufen zerlumpter Uniformen. Heizmaterial. Darunter ein Metallkübel mit gefrorenem Fleisch.
    Hans versuchte sich einzureden, dass es Pferdefleisch war, aber es gelang ihm nicht. Es waren menschliche Organe. Herz, Leber, Niere. Die Dreieinigkeit des Körpers. Irgendwie erschien es ihm auf einmal ganz selbstverständlich. Die logische Konsequenz aus allem, was hier geschah. Und es war zweifellos weniger grausam, weniger menschenverachtend als die sinnlose n Durchhaltebefehle der deutschen Führung.
    Er schlug eine weitere Zeltbahn zurück.
    Der Arzt kniete am Boden, den Rücken Hans zugewandt. Neben ihm stand ein flackerndes Hindenburglicht, vor ihm eine offene Kiste, in der sich außer Operationsbesteck einige Ampullen befanden. Morphium.
    Der Arzt drehte sich langsa m um. In seinem abgebundenen Unterarm steckte eine Spritze. Seine glasigen Augen, sein pendelnder Kopf zeigten an, dass mit ihm in den nächsten Stunden nicht viel anzufangen sein würde. So lange konnten sie nicht warten. Wortlos riss ihm Hans die Spritze aus dem Arm, griff sich die Kiste mit den restlichen Ampullen und lief nach draußen.
    Die Gleichgültigkeit in den g lasigen Augen des Arztes verwandelte sich in Entsetzen. Verzweifelt stolperte er Hans durch das überfüllte Krankenzelt hinterher, drohte, bettelte, schrie, ihm wenigstens die Hälfte zu überlassen, rief kreischend nach seinen Sanitätern. Die Sucht verlieh ihm unwahrscheinliche Kräfte, und er hätte Hans bestimmt eingeholt, wenn sich nicht plötzlich ein Schwerverwundeter vor ihn geworfen und seine Füße umklammert hätte. Es war ein junger Leutnant, dessen Gesicht von entzündeten Läusebissen entstellt war.
    »Herr Doktor«, flüsterte er mit

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