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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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kleinsten Gestank um. Wie sollen wir da den Krieg gewinnen?«
    Offensichtlich wollte sie Zeit schinden. Der Leutnant beschloss, nicht auf ihre Spielchen hereinzufallen. »Kommen Sie!«
    »Wohin?«
    Er hob ihre Taschenlampe vom Boden auf und leuchtete kurz in den nächsten Gang. Der Lichtstrahl wischte über ihr Gesicht. Sie hatte grüne Augen, grün oder gra u, die ihn an andere Augen erinnerten, aber er wusste nicht, an welche. »Ihre Waffe, schnell!«
    Die junge Frau zog eine Pistole unter der Jacke hervor und warf sie auf den Boden. Sie war so abgemagert, dass sie auf Hans wie eine Sechzehnjährige wirkte. Nur ihre Augen waren älter, viel älter. Und sie war offenbar keine schlechte Schauspielerin.
    »Wissen Sie, was ich glaube?«, sagte sie. »Ich glaube, Sie haben sich ein bisschen verlaufen. Hier sind überall nur Russen. Und wenn ich jetzt schreie …«
    »Sind Sie tot.«
    »Ja.« Sie lächelte wieder. »Sie aber auch.« Gelassen öffnete sie eine Feldflasche, die an ihrem Gürtel hing, und hielt sie Hans hin. »Das ist besser als eine Kugel.«
    Hans reagierte nicht auf ihr Angebot, und sie nahm selber einen Schluck. Man konnte sehen, dass sie nicht gewohnt war, aus der Flasche zu trinken. Sie hustete, wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und hielt ihm die Flasche erneut hin. Er schüttelte den Kopf und nahm ihr Gewehr an sich, das noch am Boden gelegen hatte und ein Zielfernrohr besaß. Dafür musste er die Taschenlampe kurz ablegen.
    »Eine Scharfschützin?«, fragte er und hängte sich das Gewehr am Riemen über den Rücken. Sie schwieg. »Wie viele Deutsche hast du damit erschossen?« Er nahm wieder die Taschenlampe; mit der Rechten hielt er weiterhin die Pistole auf die Russin gerichtet.
    Sie zuckte mit den Achseln. »Ein paar.« Sie wies auf seine Pistole. »Und wie viele Russen haben Sie damit erschossen?«
    »Auch ein paar.« Er ärgerte sich, überhaupt davon angefangen zu haben. »Komm jetzt endlich.«
    »Das ist die falsche Richtung.«
    »Wenn du Ärger machst …« Er hob wieder drohend seine Waffe.
    »Wenn Sie mich erschießen«, sagte sie und sah ihn dabei fest und offen an, »sind Sie erledigt. Sie finden nie allein zurück.«
    Ihr Mut imponierte ihm. Sie hustete, schnäuzte sich, spuckte aus, murmelte etwas auf Russisch.
    »Verzeihung«, sagte sie dann. »Sind Sie auch erkältet?«
    »Nein.«
    Für einen Augenblick schimmerten ihre Zähne in der Dunkelheit. Sie wirkten sehr groß und sehr weiß in ihrem schmalen, schmutzverkrusteten Gesicht.
    Hans ermahnte sich, an wichtigere Dinge zu denken. »Komm jetzt endlich!«
    »Machen wir einen kleinen Frieden. Ich bringe Sie zu Ihren Leuten, und Sie lassen mich laufen.«
    Das war ein faires Angebot.
    »Und woher soll ich wissen, dass ich dir trauen kann?«
    »Ich hätte Sie längst töten können«, sagte sie, und ihre Stimme klang dabei völlig ruhig. Dann zog sie langsam einen Dolch aus ihrem Stiefel und reichte ihn mit dem Griff voran dem Leutnant.
    »Damit?«, fragte er ungläubig.
    »Natürlich damit.«
    Sie wollte sich in Bewegung setzen, doch er hielt sie am Arm fest. Er konnte die schmalen Knochen unter ihrer Uniform spüren. »Augenblick! Was ist in dem anderen Stiefel?«
    Sie sah ihn an und lächelte schmal. »Mein Löffel. Wollen Sie den auch?«
    »Nein.« Was sie wohl von ihm dachte? Hoffentlich nicht, dass er sich unkorrekt verhalten könnte. »Sie haben mein Ehrenwort als deutscher Offizier. Wenn Sie mich hier rausbringen, lasse ich Sie laufen. Sie gehen voraus.«
    »Natürlich.«
    Sie bückte sich in ein Abwasserrohr, Hans folgte ihr mit einigem Abstand. Der Boden bebte unter einigen schweren Einschlägen.
    »Du kannst mir wirklich trauen«, flüsterte er.
    »Ich weiß«, gab sie ebenso leise zurück. »Meine Mutter hat mir immer gesagt, das Ehrenwort eines deutschen Offiziers sei heilig, fast so heilig wie der liebe Gott. Sie war Deutsche und glaubte an beides.«
    Der Hebel, an dem sie sich scheinbar festhielt, sah eigentlich viel zu klein aus, um gefährlich zu sein. Doch ehe Hans wusste, wie ihm geschah, war sie hinter einer schwarzen Wand aus Öl verschwunden, das mit hohem Druck auf ihn zuschwappte und ihn das Rohr rückwärts hinunterriss. Die glatten Wände boten keinen Halt, er hätte sich auch sonst kaum festhalten können, weil er mit der einen Hand noch immer seine Pistole umklammerte, mit der anderen die Taschenlampe.
    Irgendwie gelang es ihm, zumind est die Waffe zurück in die Pistolentasche an seinem Gürtel zu

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