Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
vermeldete Teile der 305. Division im harten Kampf zwischen Geschützfabrik und Wolga, das Wetter war aufklarend, sonnig, und ihr Bataillon bestand noch aus genau achtundzwanzig Mann.
Müde, verdreckt, mit zerrissen en Uniformen stiegen sie von einem der Lkws, die Bauholz für die Winterquartiere beförderten, Bubi als Letzter. Er war der Einzige vom jungen Gemüse, der den ersten Einsatz überlebt hatte.
Sie lieferten die Munition ab und betraten einen ehemaligen Schlachthof, der nun als Kleiderkammer und Waschhaus benutzt wurde. Der Regimentszahlmeister, den alle Figaro nannten und dem man eine Vorliebe für frische Hemden und Knaben nachsagte, traute seinen Augen nicht, als er den müden Haufen sah. »Mensch, Wölkchen, wo sind denn all die andern?«
»Sitzen beim Iwan und bügeln Tatarenweiber«, knurrte Wölk.
»O Gott!« Der Figaro schlug die Hände zusammen. »Was ist denn passiert?«
»Sag’s ihm, Wölkchen«, knurrte Fritz.
»Frag doch nicht so blöd!« Wölk knallte dem Figaro einen Haufen halber Erkennungsmarken auf den Tisch. »Die meisten brauchen nicht mal mehr ’ne Urne.«
Pflüger folgte seinem Beispiel.
Der Figaro schluckte. »Das ist ja schrecklich, schrecklich … Na, jetzt kommt erst mal mit.«
Seufzend trippelte er vor dem zerschlagenen Haufen her. Es waren immer die jüngsten und attraktivsten, die nicht zurückkamen. Beiläufig musterte er Hans. Wenigstens ein optischer Lichtblick! Dann entdeckte er die Rangabzeichen auf der dreckverkrusteten Uniform. »Oh, Entschuldigung, Herr Leutnant, ich hab Sie gar nicht gesehen …«
Er führte die Männer in eine Halle, in der früher frisch geschlachtete Tiere verarbeitet worden waren. Unter der Decke verliefen Schienen, von denen Ketten mit großen Fleischerhaken hingen. Darunter standen dampfende Blechzuber.
Für die Männer war es die Rückkehr in eine andere Welt. Sie schälten sich aus den Klamotten und gingen auf die Badezuber zu. Andächtig hielten sie ihre Finger in das warme, saubere Wasser, tauchten die Hände hinein, als könnten sie nicht fassen, dass es so etwas noch gab. Vorsichtig ließen sich die ersten stückchenweise hineingleiten.
»Für Sie habe ich selbstverständlich eine separate Wanne«, flüsterte der Figaro dem Leutnant zu.
»Lassen Sie mal«, erwiderte Hans. »Ich denke, die Auswahl hier ist groß genug.«
Er zog sich aus und stieg in einen Zuber. Erst da spürte er, dass er noch lebte, die Zehen bewegen konnte, die Beine, die Hände. Es war fast ein Wunder.
Auch bei den anderen erwach ten durch das warme Wasser langsam wieder die Lebensgeister. Fritz kletterte aus seinem für ihn zu engen Zuber und schob einen der leer gebliebenen direkt daneben. So konnte er seine Füße in die zweite Wanne stecken.
Der Figaro stellte ein Rad io mit Tanzmusik von Kurt Hohenberger neben ihnen auf.
»Mach den Laberkasten aus«, beschwerte sich Rollo. »Haste keine Platten da, die Andrew Sisters …«
»Bloß keine Negermusik!«, protestierte Pflüger.
»Lass mal, das sind keine Neger, sondern echte Rohrvorholer. Und Scheinwerfer haben die, da leuchtet die Pupille!«
Im Radio wurde das Programm gewechselt. Fanfaren. Und dann war plötzlich die dunkel grollende, rechthaberische Stimme zu hören, die in diesem Moment über ganz Europa und einem weiten Teil Russlands lag:
»Ich wollte zur Wolga kommen«, war die Stimme des Führers zu vernehmen, »und zwar an einer bestimmten Stelle, zu einer bestimmten Stadt. Zufälligerweise trägt sie den Namen von Stalin selber. Also denken Sie nur nicht, dass ich aus diesen Gründen dorthin marschiert bin – sie könnte auch ganz anders heißen –, sondern weil dort ein ganz wichtiger Punkt ist. Dort schneidet man nämlich dreißig Millionen Tonnen Verkehr ab. Darunter fast neun Millionen Tonnen Ölverkehr. Dort floss der ganze Weizen aus diesen gewaltigen Gebieten in der Ukraine, des Kuban-Gebiets, zusammen, um nach Norden transportiert zu werden. Dort ist das Manganerz gefördert worden; dort war ein gigantischer Umschlagplatz. Den wollte ich nehmen und … Wissen Sie, wir sind bescheiden, wir haben ihn nämlich. Es sind nur noch ein paar ganz kleine Plätzchen da. Nun sagen die andern: Warum kämpfen Sie denn nicht schneller? – Weil ich dort kein zweites Verdun haben will, sondern es lieber mit ganz kleinen Stoßtrupps mache …«
Hans musterte unter dem Beifal ls- und Heilgebrüll aus der Heimat nachdenklich die Fleischerhaken, die über ihnen an der Decke baumelten. Wölk
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