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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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haben Sie denn da, Pflüger?«
    Pflüger starrte den Leutnant mit roten Ohren an. »Das ist nichts für Sie, Herr Leutnant.«
    »Geben Sie her!« Der Leutnant nahm den beiden die Fotos aus den Händen und betrachtete sie. Seine Miene wurde hart.
    »Haben Sie da auf Befe hl gehandelt?«, fragte er Wölk.
    »Jawohl, Herr Leutnant«, antw orteten Wölk und Pflüger gleichzeitig.
    Hans betrachtete noch einmal die Fotografien. Ein hilfloser Zorn stieg in ihm auf. Er war bereit, vieles hinzunehmen, aber dass die Wehrmacht Massenerschießungen unter Zivilisten und Kindern vornahm, konnte und durfte nicht sein!
    »Sie lügen doch!«, herrschte er die beiden an.
    »Aber, Herr Leutnant …«
    »Das wird doch überall so gemacht«, sagte Piontek hinter ihm. »Wie sollen wir denn sonst den Krieg gegen diese Viecher gewinnen? Was meinen Sie, wie viele …«
    »Maul halten!«, schrie der Leutnant und verlor für einen Moment jegliche Beherrschung. Am schlimmsten war, dass Wölk und Pflüger ihn bar jedes Unrechtbewusstseins anglotzten und ihm dadurch die Gewissheit gaben, dass sie die Wahrheit sagten. Wütend presste er die Lippen zusammen. Wie konnte er vor den Männern so die Beherrschung verlieren? Das war dumm und naiv. Gross hatte recht. Wie konnte er in diesem Krieg noch an Tugenden wie Ritterlichkeit und Anstand glauben?
    Er wartete, bis sich seine Wut in kalten Zynismus verwandelt hatte. »Hat’s Spaß gemacht, W ölk? Hat Ihnen die Zigarette geschmeckt?«
    Wölk starrte verlegen zu Boden. »Mein Gott, Herr Leutnant, so ist eben der Krieg.«
    Der Leutnant warf Pflüger die Fotos in den Schoß. »Das ist Tiefenschärfe, Pflüger.«
    Er überließ die Männer ihrem kargen Frühstück und kroch auf schmerzenden Knien in den Nebenraum.
    Fritz folgte ihm nach einer Weile und brachte ihm dünnen Kaffee. Hans trank, obwohl sein Magen wie zugeschnürt war.
    »Im Grunde ist es gleichgültig«, sagte er schließlich, »ob es die SS ist oder der SD oder die Wehrmacht. Es geschieht im deutschen Namen.«
    »Du hast ja nicht geschossen«, sagte Fritz.
    Es war ein oft gehörtes fadenscheiniges Argument, aber Hans nickte trotzdem. Es hatte keinen Sinn, in dieser Situation über Recht oder Unrecht nachzudenken. Er würde seinen Teil dazu beitragen, diesen Krieg so schnell wie möglich siegreich zu beenden. Danach konnte man sich wieder zivilen Tugenden wie Moral und Anstand hingeben. Bis dahin war er verantwortlich für seine Männer, für sonst nichts.
    »Das Schlimmste ist, dass mich diese Fotografien kaum berühren«, gestand er. »Ich empfinde nicht wirklich Schuld oder Reue. Man regt sich nur noch darüber auf, weil man sich früher darüber aufgeregt hat, in einer anderen Welt.«
    »Entweder du verreckst oder wirst ’ne Sau.« Fritz grinste. »Oder beides. Nix von deim Onkel gehört?«
    Hans schüttelte den Kopf. Der Gedanke an seinen vor Energie und Optimismus strotzenden Onke l, an seine stets tadellose Haltung, den durch Morgenritte moderat gehaltenen Bauchansatz, die rot geäderten Backen des routinierten Weintrinkers, erfüllte ihn mit Ekel. Er konnte sich lebhaft vorstellen, was Oberst von Wetzland von den Kriegseindrücken seines Neffen halten würde. Ein Fieberschauer schüttelte ihn.
    Ich sollte mich mehr um meine Gesundheit und weniger um meine Moral kümmern, dachte er. Aber er konnte nicht einfach abschalten. Ein Soldat hatte nicht nach den Motiven der Politik zu fragen, sondern zu kämpfen. Zu töten, damit sein Volk überlebte. Lebensraum schaffen. Meistens erfüllte ein Soldat diese Aufgabe in doppelter Weise: Er tötete, bis er getötet wurde. Machte Platz für deutsche Bauern, düngte mit seinem verrottenden Leib den Boden für kommende Generationen. Piontek, der deutsche Übermensch! Unwillkürlich schüttelte ihn ein lautloses Lachen.
    Piontek, der deutsche Übermensch, saß mit gespitzten Lippen im Kreis seiner Kameraden und ahmte eine Amsel nach. Die anderen hörten andächtig zu. Nur Wölk tippte bösartigerweise auf eine Krähe. Die zwei gutartigen Müller wollten ein Rotkehlchen hören.
    Im selben Moment schrien die Wachen im Erdgeschoss.
    Jeder stürzte an seinen Platz. Die Aufregung war jedoch überflüssig: Bei den Eindringlingen handelte es sich nur um einige Melder mit dem verspäteten Frühstück. Rege Feindbewegung in der Nacht hatte ein früheres Durchkommen verhindert. In ihrer Begleitung befand sich ein Reporter, der einige Zeitschriften mitbrachte.
    »Wenn ihr’s nächste Mal die Parole nicht

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