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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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nehmen. Mit baumelnden Armen und blutverschmiertem Gesicht starrte er Rollo an. Seine Pupillen wurden für einen Moment groß und schrumpften wieder auf Stecknagelgröße.
    »Hier gefällt’s mir nicht«, flüsterte er. »Ich geh wieder heim.« Dann versuchte er sich erneut loszureißen.
    Gross schlug ihn mit einem Kolbenhieb bewusstlos. Sie schleiften ihn ins andere Zimmer. Gross besah sich Pflügers mit Blut und Hirn verschmiertes Gesicht. An der Stelle, wo ihn der Kolben am Kinn getroffen hatte, war ein weißer Fleck.
    »Hol ’n Lappen«, sagte er zu Rollo.
    Der Leutnant kroch auf den immer noch regungslos an der Wand kauernden Reporter zu und drückte ihm seinen Fotoapparat in die Hand. Dann wies er auf Wölks zerschmetterten Kopf. »Na, los«, zischte er. »Machen Sie Ihr Foto.«
    Der Reporter starrte ihn mit zitternden Lippen an. Hans zog die Pistole: »Fotografieren Sie das, oder ich leg Sie um!«
    Nachdem der Reporter das zweite Mal auf den Auslöser gedrückt hatte, übergab er sich. Hans warf einen letzten, langen Blick auf Wölk. Wartete, bis das wie eingefrorene Blut in ihm wieder zirkulierte, als sei nichts geschehen, als sei Wölk nichts als eine grotesk verrenkte Puppe. Dann wandte er sich an Fritz. »Leg ihn in die Ecke. Die Essenholer sollen ihn heute Nacht mitnehmen.«
    Gebückt ging er ins andere Zimmer. Der Reporter begann zu heulen. Fritz packte Wölk unter den Achseln. Der Reporter kroch zu ihm und krallte sich in seinen Arm. Zitternd zog er seine Uhr vom Handgelenk und hielt sie Fritz hin.
    »Geben Sie die Uhr dem Leutnant«, keuchte er. »Sagen Sie ihm, es tut mir leid.«
    Fritz nahm die Uhr und wol lte sie aus dem Fenster werfen.
    » Sie ist zweihundert Mark wert«, sagte der Reporter leise.
    Fritz zögerte, dann steckte er die Uhr ein. »H au bloß ab«, murmelte er.
    Er schleifte Wölk in die Ecke, wobei Blut auf seine Stiefel tropfte.

 
     
     
     
     
     
    36
     
     
    K urz nach vier wurde es wieder dunkel. Der Regen war einem dichten Nebel gewichen. Die Männer hockten auf ihren Zeltbahnen und sprachen nur das Nötigste. Das Selbstvertrauen der Alten in die Gerechtigkeit des Schicksals war schwer erschüttert worden. Wieso hatte es ausgerechnet Wölk erwischt, einen der Erfahrensten unter ihnen? Wieso nicht einen der Grünschnäbel? In dieser verfluchten Stadt war alles anders.
    Rollo spürte einen schmerzhaften Stich in der linken Seite, der ihn für einige Sekunden lähmte. Vorsichtig drehte er sich herum, warf Pflüger einen verstohlenen Blick zu, den sie mit demselben Strick, mit dem Pflüger immer die Wachen am Schlafen gehindert hatte, gefesselt hatten. Pflüger hatt e die Fessel soweit lockern können, dass er mit den Händen über sein Gesicht kratzen konnte. Man hatte es ihm natürlich längst abgewaschen, dennoch gruben sich seine Finger in stumpfer Verzweiflung immer wieder langsam und gleichmäßig in die Haut und versuchten, das Geschehene aus seinem Gedächtnis zu kratzen. Sein Gesicht, rot und geschwollen, zeigte die ersten blutigen Striemen, doch er spürte weder den Schmerz, noch bemerkte er das Blut an seinen Fingern.
    Die anderen ließen ihn gewähren, weil er wahrscheinlich nur wieder getobt hätte, hätte man versucht, ihn daran zu hindern. Stattdessen lauschten sie nach draußen. Die Russen hatten sich zwar nicht mehr gerührt, aber ma n konnte nie wissen. Wahrscheinlich warteten sie nur darauf, dass die Aufmerksamkeit der Deutschen nachließ. Den Gefallen würden sie ihnen nicht tun. Ihre zwei Zimmer waren zwar zugig und kalt, aber sie gehörten ihnen.
    Bubi beschäftigte sich mit einem Riss in Fritz’ Uniformjacke. Der Leutnant besserte ebenfalls ungeschickt seine Uniform aus, stach sich in den Finger und lutschte da s Blut aus der Wunde. Als er bemerkte, dass Bubi ihn beobachtete, nähte er weiter. Das schüchtern lächelnde Gesicht des blonden Jungen ging ihm auf die Nerven.
    Rollo war Bubis heimliche Vorliebe für den Le utnant nicht entgangen. Wahre Schönheit findet sich immer, dachte er gehässig und grinste. Bin ja schon richtig eifersüchtig, wie auf ’ne Alte. Kein Wunder, bei dem Notstand.
    Wahrscheinlich drehten deswegen alle durch. Wenn man keine Abhilfe schaffte, stieg das Sperma irgendwann bis in den Kopf, und davon konnte man völlig behämmert werden. Das hatte er mal gelesen. War schon ’ne ganze Weile her. Sein Alter hatte immer gewollt, dass er las. Irgendwelche dicken Schwarten. Hatte vom gebildeten Proletarier geträumt, was ihm

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