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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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faszinieren kann, ist die Schönheit des Krieges.«
    Wie ein bösartiger Kobold sprang Gross zu einer der größeren Schießscharten, schob die Wache beiseite und winkte den Leutnant zu sich. Im bleigrauen Morgennebel zerplatzten die Regentropfen dicht gedrängt auf dem Schlachtfeld. Die ausgebrannten Panzer, die zerstörten Granatwerfer, die schiefen Häuserreste wirkten wie Hieroglyphen des Todes.
    Hans fand das Bild trostlos, weiter nichts. Er wollte sich abwenden, doch Gross hielt ihn am Ärmel fest. »Die Schönheit im Entsetzlichen«, flüsterte er, »ist immer ernster, tiefer, verborgener.«
    Ein scharfer Windstoß fegte über den Platz und trieb wolkige Regenschauer über die Trichter.
    »Sie sind auch nur ein enttäuschter Romantiker«, sagte Hans.
    »Deswegen sind wir ja hier«, erwiderte Gross und sah mehr als jemals zuvor wie ein Skelett aus.
    Hans legte seinen Mantel um die heftig zitternden, aus dem Körper herausstechenden Schultern seines Untergebenen. Trotzdem gingen beide nicht zum Ofen, ehe sich eine Ahnung von Helligkeit über den Platz gebreitet hatte.

 
     
     
     
     
     
    35
     
     
    N ichts geschah, da war nur Regen, Kälte, Schlamm. So spät wie möglich schälte man sich jeden Morgen verdreckt und missmutig aus den Zeltbahnen. Wieder mal Wachablösung. Doch egal, ob man Wache geschoben oder geschlafen hatte, man fühlte sich leer, antriebslos, zerschlagen. Einen Zwischenfall gab es, als eine Kugel den Arm des Gemeinen Müllers durchbohrte, als der sich nach vier Stunden Schlaf aus seiner Decke reckte. Er stieß nur einen leisen, erstaunten Schrei aus und besah sich ungläubig das Blut auf seinem Ärmel, ehe ihn Wölk zu Boden riss. Eine Hand in GMs Nacken gekrallt, bekam Wölk einen seiner minutenlangen Fluchanfälle, bis ihm die Luft ausging.
    »Wat ’n Uppstand!«, stöhnte Piontek.
    »Was ist denn los mit Ihnen, Wölk?«, fragte Hans.
    Wölk zog den Kopf trotzig zwischen die Schultern. »Nix, Herr Leutnant.« Das Zucken seiner Wangen war wieder stärker geworden. Schließlich brach es unvermittelt aus ihm heraus: »Man hat halt einfach ’n zu gutes Herz. Des is des Allerschlimmste am Krieg!«
    Darin waren sich wieder einmal alle einig, und Wölk wurde vom Leutnant mit einer Tasse lauwar men Ersatzkaffees für seinen Gefühlsausbruch belohnt. Der Gemeine Müller hielt sich käsebleich den stark blutenden Arm.
    »Ich bin schwer verwundet, ich muss zurück!«, stöhnte er.
    Piontek schaute sich die Wunde an. »Is doch nur ’n Kratzer, Jung. Glatter Durchschuss. Glatter geht’s nich.«
    »He, Pickelfresse, guck auch mal aus ’m Fenster«, rief Fritz dem Nazi-Müller zu, den er als Einzigen noch nicht umgetauft hatte. »Wo bleibt das Frühstück?«
    Das fragten sich die anderen auch. Die Essenholer waren wieder mal vorzeitig umgedreht. Die Männer äußerten Verwünschungen und wilde Drohungen. Letzte Reste wurden geteilt. Der Leutnant sortierte endlich die Brieftaschen und Erkennungsmarken der Gefallenen. Er hätte es schon längst tun sollen.
    »K annte jemand Wilfried Schäfer?«
    »Der unbekannte Soldat«, sagte Wölk.
    »Das war doch deiner«, stellte Pflüger kauend fest. »Sein Arm ist mir fast in die Fresse geflogen.«
    »Hab ihm zehnmal gesagt , er soll aus dem Graben raus.«
    Rollo zog die Fotografie von Schäfers Freundin aus der Brieftasche. »Hatte aber ’ne flotte Biene.«
    »Wie ist er denn gestorben?«, wollte der Leutnant von Wölk wissen.
    »Mit vollen Hosen durch eigene Stukas, Herr Leutnant.«
    »Des kann er doch nicht schr eiben«, mischte sich Fritz ein.
    »Flockige Formulierung, Abteilung HH, hohl und heldenhaft.« Er kippte dem Nazi-Müller von hinten etwas Kaffee über den Kopf. »Wenn du schon die erste Nacht überlebt hast, steuer mal was bei, Hundsgemeiner Müller, HGM.«
    Der Neugetaufte zog es vor zu schweigen.
    Wölk rückte neben Pflüger. »Zeig noch mal das Bild von gestern Abend. Hab’s mir überlegt. Ich tausch meine drei gegen die Gehängte.«
    Pflüger holte ein Lederetui aus der Tasche, das nicht nur jeweils ein Foto von seiner Mutter und Schwester enthielt, sondern auch die Fotografie einer erhängten Partisanin. Wölk nickte bedächtig und bot ihm schließlich drei andere Fotos dafür an. Eines zeigte Wölk, an einem Massengrab sitzend, eine Pistole in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand. Die Pistole war auf einen kleinen Jungen gerichtet. Wölks Füße baumelten knapp über den Köpfen in der mit Leichen gefüllten Grube.
    »Was

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