Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
Artillerie.
»Komm her!«
Fritz watete zu den anderen durch den stockdunklen Keller.
»Die Russen sind im ersten Stock«, empfing ihn der Leutnant. »Sie denken, wir sind im Eimer.«
»Sind wir doch auch«, knurrte Rollo.
Der Allgemeine Müller begann zu niesen. Rollo presste ihm die Hand auf den Mund. »Den nächsten, der seine Rotzkanne nicht hält, knall ich ab!«
Jeder glaubte es ihm.
Gross tauchte aus der Dunkelheit im ungewissen Licht der Brände vor dem Kellerfenster auf. In seiner Begleitung befanden sich zwei Gestalten mit verbrannten Uniformen und rußgeschwärzten Gesichtern, in denen die Brandwunden und die Augen rot schimmerten. »Zug Köhler und Frank links und rechts von uns gibt’s nicht mehr«, teilte er dem Leutnant mit.
Die zwei Männer, die zischend durch zusammengebissene Zähne atmeten, senkten die Köpfe.
»Wenigstens kann man hier unten nicht verdursten«, flüsterte Piontek. Die anderen hassten ihn für seine Dummheit.
»Scheiße«, sagte Rollo, »i ch will zurück zu meinem Ofen.«
»Ich auch«, sagte Piontek und zog seine Axt.
»Was ist mit der Treppe?«, fragte der Leutnant.
»Hochgejagt. Wir brauchen Seile und Haken.«
Piontek hob den abgerissenen Rest eines Wasserrohrs und verbog ihn vor den Augen des Leutnants. »Einen Haken hätten wir schon.«
Seile würden sie auch noch finden. Und wenn sie welche aus den Uniformen der Leichen drehten. Eine Zuversicht machte sich breit, die kein vernünftiger Mensch hätte teilen können. Jeder war bereit, sein Leben zu riskieren – für ein trockenes Zimmer und einen Ofen, der aus einem verrosteten Benzinkanister bestand.
Gross organisierte alles. Er schien eine teuflische Freude dabei zu empfinden, dass sich der Kampf endlich nur noch auf Urbedürfnisse reduzierte. Mit funkelnden Augen watete er zum Leutnant.
»Im Erdgeschoss gibt’s noch eine Kiste mit geballten Ladungen. Ich hab sie in Sicherheit gebracht, bevor sie hochgeht. Kommen Sie. Damit verschaffen wir uns mehr als ’ne Schrecksekunde.«
Er zog den Leutnant zu einer zerstörten Treppe, die einmal ins Erdgeschoss geführt hatte. Dort war nach wie vor alles voller Qualm. »Sehen Sie – es wäre ein Fehler gewesen, mich zu liquidieren. Ich bin der perfekteste Mörder von euch allen. Ich brauche nur gelegentlich eine kleine Beichte. Na los, teilen Sie die Männer ein, wir frieren.«
Der Leutnant presste wütend die Kiefer zusammen und ließ sich einen der selbst gebastelten Enterhaken von Piontek reichen. Er würde den Angriff in den ersten Stock führen. Gross wurde von Rollo und Fritz hochgehoben und zog sich auf den Treppenabsatz, der dunkel über ihnen hing. Die anderen folgten.
Dicht gedrängt kauerten die Männer auf dem Absatz, der unter ihrem Gewicht verdächtig knackte. Gross sprang auf und huschte durch den beißenden Rauch zu der Munitionskiste. Der Leutnant folgte. Der Qualm ließ sie kaum atmen, aber es gelang ihnen überraschend schnell, die Zündkapseln und Reißschnüre anzubringen.
»Ich z uerst. Fertig?«, zischte Gross.
»Fertig.«
Auf dem Treppenabsatz über ihnen erschienen schattengleich drei Russen. Fritz feuerte mit der MPi, die Schatten verschwanden, dann schleuderte Gross seine geballte Ladung hinterher. »Deckung!«
Der Leutnant sprang hinter einen Mauervorsprung. Den viereckigen Kasten mit dem Sprengstoff und den eingesetzten Zündkapseln drückte er an die Brust.
Die Explosion dröhnte durch das durchlöcherte Haus.
Rollo und Piontek versuchten, mit verbogenen Eisenteilen eine Behelfsleiter zu bauen. Immer noch seine geballte Ladung an die Brust gedrückt, huschte der Leutnant zu ihnen, drängte Rollo weg, und obwohl ihm zunächst unmöglich schien, über die Eisen und den verbogenen Rest einer Betonmatte in den ersten Stock zu klettern, war er im nächsten Augenblick schon oben, rollte über den Rand, zog die Reißschnur, sprang auf und schleuderte die Ladung den Gang entlang. Sie prallte gegen die Wand, schlidderte über den Boden und explodierte direkt vor dem nächsten Treppenaufgang, über den mit Maschinenpistolen feuernde Schatten heraufstürzten.
Die feindlichen Soldaten verschwanden in dem Feuerball. Der Explosionsdruck schleuderte den Le utnant rückwärts, er prallte gegen etwas Hartes, fiel benommen zu Boden.
Gross’ Totenkopfgesicht schwebte über ihm und sagte: »Gute Arbeit, Herr Leutnant!«
Dann war das Gesicht weg. Rollo, Piontek und drei andere stürmten an ihm vorbei zu den Zimmern, die sie vor dem russischen
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