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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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nach verbranntem Fleisch riechenden Wolke kroch er vorwärts, bis die Erde unter ihm nachgab und er kopfüber in den nächsten Trichter stürzte.
    Er steckte einen Daumen in den Mund und biss darauf, damit seine Zähne nicht mehr aufeinander schlugen. Mit der anderen Hand, in der er noch sein Messer hielt, wischte er sich Blut und Dreck aus dem Gesicht. Die Ahnung eines Lufthauchs traf ihn, und er warf sich auf die Seite. Die Stiefe l eines russischen Soldaten landeten auf dem Trichterrand und rutschten hinter einer Woge von Schlamm zu ihm herunter.
    Fritz sprang hoch, glitt aus, fand Halt an einer Leiche, hob das Messer und umschlang den Russen von hinten mit einem Arm, um ihm den Hals durchzuschneiden. Er drohte erneut zu fallen, seine Hand rutschte nach unten und landete auf einer weiblichen Brust. Er kippte nach hinten und starrte entsetzt in die ebenso entsetzten Augen einer Russin.
    Zitternd riss er seine Pistole aus dem Halfter und wunderte sich, warum sie ihn nicht erschoss. Da sah er ihre hoch gestreckten Arme. Sie ergab sich. Offenbar hatte sie ihre Waffe verloren. Fritz war nicht in der Stimmung, Gefangene zu machen.
    »Hau ab!«, zischte er. »Oder ich knall dich …«
    Im selben Augenblick fiel ihm ein, dass sie ihm nur weitere Russen auf den Hals hetzen würde. Er schloss die Augen, wollte abdrücken … und hörte eine schwere Granate heranheulen. Reflexartig riss er die Russin zu Boden und rollte mit ihr auf den tiefsten Punkt des Trichters, während die Granate dicht daneben einschlug. Eine Woge Erde, Dreck und Steine flog über ihre Köpfe.
    Das war nur der Auftakt für einen Orkan aus Feuer und Stahl, der mit ungeheurer Heftigkeit über das Fabrikgelände tobte. Die Erde über und unter ihnen wankte. Voller Todesangst klammerten sich ihre bebenden und vibrierenden Körper aneinander. Glühende Geschütz- und Wrackteile sausten wie Brandpfeile über sie hinweg.
    Fritz schüttelte wie nach einem schweren Faustschlag den Kopf und starrte auf das kleine Gesicht unter ihm, dessen aufgerissene dunkle Augen zu ihm hochsahen. Er sah Blut auf diesem Gesicht, wollte es wegwischen, aber es wurde ihm unter der Wucht eines neuen Einschlags entgegengeschleudert. Mit einem im Gebrüll der Geschütze untergehenden Schrei vergrub sie den Kopf an seiner schlammbedeckten Schulter.
    Er streichelte ihr schmutziges H aar, und alles, alles war plötzlich gleichgültig. Ihre kalten Hände rutschten unter seine Jacke. Er presste mit beiden Händen ihren kleinen Kopf an seine Brust und hatte keine Angst mehr, fühlte nur noch diesen kleinen, weichen, warmen Körper, der ganz dicht bei ihm war. Und immer, wenn ein Einschlag besonders nah war, sah sie ihn an, und einmal lächelte sie.
     
    Der Gemeine Müller, der aus einer Schießscharte im ersten Stock das Feuer auf ein russisches MG-Nest im Block gegenüber eröffnet hatte, entdeckte die beiden unter ihm im Aufblitzen des Geschützfeuers.
    Ungläubig starrte er durch den Qualm in den Trichter, dann verzog sich sein hässliches Gesicht zu einem rührenden Grinsen. Gebannt blickte er nach unten, obwohl er kaum etwas sehen konnte, aber das brauchte er auch nicht. Er konnte sich plötzlich alles sehr gut vorstellen, viel schöner, als es in Wirklichkeit war.
    Er lächelte immer noch, als eine Kugel seine Stirn durchschlug.
     
    Fritz hatte die Augen geschlossen und fragte sich, ob alles zu Ende war, als das Artilleriefeuer mit einem Schlag verstummte – ein sicheres Zeichen dafür, dass ein feindlicher Angriff kurz bevorstand.
    Die Russin setzte sich auf und war ihm plötzlich unendlich fremd. Sie hatten überlebt, nun waren s ie wieder Feinde. Was gerade geschehen war, existierte nicht mehr.
    Ohne ihn anzusehen, verschwand sie in der Dunkelheit. Er kroch aus dem Trichter, robbte durch sc hwarzen Schlamm zu einer Kelleröffnung des Büroblocks und zwängte sich ins Innere.
    Er wusste nicht mal ihren Namen, stand bis über die Knie im eiskalten Wasser und hatte keine Ahnung, wohin.

 
     
     
     
     
     
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    V on oben hörte man die dumpfen Schläge der Explosionen, Schüsse, Schreie. Vorsichtig tastete sich Fritz durch die Dunkelheit, in der schwachen Hoffnung, wenigstens einen trockenen Platz zu finden. Er stieß mit dem Fuß gegen einen harten Gegenstand und stöhnte unwillkürlich auf.
    Eine leise Stimme ließ seine n Herzschlag stocken. »Parole?«
    Fritz grinste erleichtert. »El se.« Sie nahmen meistens Frauennamen, ebenso wie für die Planquadrate bei der

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