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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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gewonnen.
    »Russenpropaganda«, murmelte Rollo. Hans befahl ihm zu schweigen.
    Der Junge konnte nicht mehr weitersprechen. In sein Schluchzen mischte sich ein tiefes, raues Wehklagen, das seinen kleinen Körper schüttelte und den Männern durch Mark und Bein ging.
    Hans wollte den Jungen in den Arm nehmen, doch der stieß ihn weg. »Lass mich! Faschist! Lass mich!«
    Hans presste ihn gewaltsam an sich, und schließlich gab der Junge nach und verkroch sich in seinen Armen, damit niemand mehr seine Tränen sehen konnte. Eine halbe Stunde lang sagte keiner etwas.
    Schließlich unterbrach Rollo das betretene Schweigen, indem er seinem Medizinmann, dem dürren Russen, zuprostete. »Freitag, komm her!« Erfreut registrierte er, dass ihn der Russe ansah. »Seht ihr, er hört schon drauf.« Er klopft sich mit der flachen Hand mehrmals auf die Brust und erklärte dem Russen übertrieben langsam: »Ich Robinson, Rollo Robinson.« Er wies mit dem Finger auf den Russen. »Du Freitag.« Mit einer weiten Armbewegung fuhr er über die zerschossenen Wände. »Und das ist unsere Insel.«
    »Mehr Palmen, bitte«, verla ngte Herbert von seinem Telefonkasten aus. Dann kramte er aus seinem Tornister einige zerfledderte Reiseprospekte, die einzigen Relikte seines kleinen Reisebüros, die er an der Front gerettet hatte. »Hier, zwei Wochen Gardasee. Vollpension, für ganze achtzig Mark. Könnt bei mir buchen.«
    »Ich buch Oßweil«, sagte Fritz. »Einfach. Ohne Rückfa hrkarte.«
    »Für mich ’ne Insel. Und natürlich für Freitag.« Rollo öffnete die letzte Flasche des russischen Beutewodkas. »Ich meine, die Russen sind ja nun mal, rein biologisch gesehen , Untermenschen. Aber«, er hob unter allgemeinem Gelächter den Zeigefinger, »Freitag, du nicht.«
    »Nee, Freitag ist Neger«, sagte Fritz.
    »Genau. Das einzige schwarze Schaf unter lauter weißen Kommunisten.« Rollo kroch auf allen vieren zu dem Russen hin und reichte ihm die Flasche. »Pass auf, du lernst jetzt Deutsch: Fischers Fritz fängt frische Fische.« Aufmunternd schwang er die Flasche vor dem Gesicht seines Schülers. »Na los, sprich nach!«
    Der Russe machte es besser, als sie erwartet hatten. Gleichzeitig begannen die Russen im Stockwerk über den Deutschen zu singen.
    »Ruhe!«, schrie HGM wütend.
    »Lass man, ist doch ganz schön«, sagte Piontek.
    »In Ordnung«, grunzte Rollo Robinson und gestattete seinem Freitag einen letzten Schluck. »Wir machen morgen weiter.«
    Er ließ sich auf den Rücken fallen und lauschte mit weit a usgebreiteten Armen dem Gesang. Freitag fiel in den Refrain ein. Er hatte eine für seinen dürren Körper erstaunlich kräftige Stimme. Und plötzlich hob auch Sascha den Kopf aus dem Schoß des Leutnants und sang mit hoher, dünner Kinderstimme mit.
    Die deutschen Soldaten hörten ihnen andächtig zu.

 
     
     
     
     
     
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    R ollo lag immer noch auf dem Rücken. Draußen war es wieder dunkel geworden. Wäre es nach ihm gegangen, hätte die Sonne überhaupt nie mehr aufzugehen brauchen, dann hätte man wenigstens das ganze Elend nicht mehr sehen müssen.
    Seine Arme waren nicht mehr ausgebreitet, sondern lagen dicht am Körper. Erschöpft rieb er sich im Schritt. Dabei war er gar nicht richtig müde; er konnte nicht richtig müde sein, dafür war er zu erregt. Abschütteln brachte nichts mehr. Irgendwas steckte in ihm drin, was er mit seinen Fingern nicht aus sich herausquetschen konnte.
    Der Dicke schnarchte zufried en neben ihm. Der war längst impotent und hatte es gut. Rollo aber wurde vor Geilheit richtig übel. Das war der Samenüberschuss, der in den Magen drückte und bis in die Speiseröhre hochstieg. Die nächste Alte, die ich anhauche, wird schwanger, dachte er.
    Undeutlich sah er den blon den Haarschopf des Gemeingefährlichen im Dunkeln leuchten. Wenn er jetzt kurz rüberkriechen würde ... Aber das war ja Wahnsinn! Dafür konnte man ins Strafbataillon wandern, und man sah am Skelett, was dann aus einem wurde.
    Der war mit seiner Knarre inzwischen sogar bei Nacht auf Jagd nach unvorsichtigen Russkis. Wenn einer von denen so behämmert war, sich eine Papyrossi anzustecken, gab die Zigarettenglut im Dunkeln ein wunderbares Ziel ab.
    Wenigstens der Leutnant schlief ausnahmsweise mal. Seine Verdauung und das Gewissen hatten sich wohl beruhigt.
    AGM, der Betbruder, war als Einziger wach. Der war mit Gott und der Dunkelheit beschäftigt, der würde sich nicht mal umdrehen, und wenn doch, konnte man immer noch auf

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