Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
zu, sobald sie auf zerquetschte, abgeklemmte Leichenteile stießen, dann ließen sie in ihrer Vorsicht nach und wurden lauter.
Gross befand sich mit dem Leutnant, Rollo und Fritz in einem Trichter nahe der Hausruine. Mit grimmiger Freude übersetzte er die Zahlen, die sich die Russen triumphierend zuriefen.
»Lassen wir sie noch ’n bisschen zählen, dann kommen noch mehr«, flüsterte er und stieß Fritz an. »Hast nicht umsonst die ganze Nacht Leichen geschleppt.«
»Nie wieder«, knurrte Fritz.
Gleich darauf gab der Leutnant Feuerbefehl. Sie sprangen auf und schossen auf alles, was sich im Erdgeschoss bewegte.
AGM führte ihre beiden russischen Gefangenen in die Ruine. Sie waren zur Sicherheit geknebelt worden. Der Leutnant nahm ihnen die Stofflappen aus dem Mund.
Piontek, der gerade einen toten Russen umgedreht hatte, um besser an dessen Brotbeutel zu gelangen, richtete sich verlegen auf, als er Sascha und den anderen Gefangenen bemerkte. HGM grinste hämisch, während Sascha auf das breite, noch im Tode von hilfloser Angst verzerrte Gesicht des Gefallenen sah, das unter seinem Blick die Züge seiner Mutter annahm. Leise begann er mit ihr zu reden. Da er die Hände gefaltet hatte, dachten die anderen, er würde beten.
Freitag wandte den Blick von den toten Gesichtern, die er zum großen Teil gekannt hatte, und stieß einige abgehackte Sätze hervor. Gross übersetzte: »Er sagt, er und der Kleine wären auch tot gewesen. Scheißkrieg, sagt er. Aber unser Brot sei besser. Er will uns in Zukunft bei den Verwundeten helfen. Aber er wird nicht auf seine Leute schießen.«
Hans nickte zum Zeichen, dass er einverstanden war.
»Meine Mutter sagt, ich nie auf dich schießen«, sagte Sascha plötzlich zu Hans. Seine kleine Hand zeigte auf Fritz. »Und nicht schießen ihn.«
Ehe die beiden etwas sagen konnt en, legte die russische Artillerie mit einem schmetternden Schlag Sperrfeuer zwischen sie und die deutschen Linien weiter hinten.
»So leicht gibt der Iwan kein Haus her!«, schrie Fritz in den ohrenbetäubenden Lärm der Einschläge. »Nicht mal so eines!«
»Kellereingänge und Erdgeschoss sichern!«, befahl der Leutnant. »Zwei Müller, Reiser, kommen mit mir. Geiger, Verbindung aufnehmen. Gefechtsstand im Heizraum.«
Herbert, der im Dunkeln sein durch die Explosion erheblich verkürztes Verbindungskabel wiederge funden hatte, legte eine Verlängerung in den Keller.
Rollo hatte ihr Erfolg neuen Mut gemacht. »Herr Leutnant, hier kommt kein Russe mehr rein!«
Als Antwort detonierten Granaten, die Leuchtspuren von Maschinengewehrsalven stachen nach jeder Bewegung und zwangen die Männer in Deckung, tödliche Splitter sirrten durch die Gegend. Von ihrem Sperrfeuer wirksam gegen eine Verstärkung der Deutschen abgesichert, versuchten die Russen von drei Seiten in die Trümmer des Blocks einzudringen.
Rollo sah aus den Augenwinke ln, wie sich die anderen zurückzogen, und keuchte vor Wut. Er begriff nicht, dass er liegenblieb und weiterkämpfte, weil man ihm sein ganzes Leben lang eingetrichtert hatte, dass es nichts Schlimmeres gab als Niederlagen, und sein Leben trotzdem nichts als eine einzige Serie von Niederlagen gewesen war. Er begriff nur, ihn würden sie nicht aus diesem Haus kriegen, ihn nicht!
Er wollte hochspringen und in das gegnerische Mündungsfeuer halten, aber Piontek zog ihn angesichts der feindlichen Übermacht zurück und bewahrte ihn damit vor dem sicheren Ende.
Zu Ende wäre es dennoch für sie beide gewesen, wenn nicht der fromme Müller versucht hätte, ihnen zu folgen. Er hatte sein Ge wehr verloren, stolperte hinter ihnen her und verschaffte ihnen ungewollt Deckung, bis eine Kugel seine Wirbelsäule und den Magen durchschlug und sein Gesicht auf einen verschmorten Sicherungskasten klatschte.
Eine weitere russische Angriff swelle brandete gegen das Gebäude. Der Plan, die Deutschen ins Sperrfeuer zu drücken, zeigte erste Erfolge. Versprengte deutsche Soldaten, die ihre Einheit und die Nerven verloren hatten, stolperten aus der Deckung der Ruinen auf den freien Platz und wurden dort von den tobenden Wirbeln der Granaten zerfetzt.
Der Leutnant erwog für einen Augenblick die Flucht nach vorn, hin zur Wolga, als er aus eben dieser Richtung Panzermotoren hörte. Das Gemäuer zitterte.
Entsetzt hörten die Soldaten, wie die Ketten über das zerrissene Gestein mahlten und bei jeder Richtungsänderung kreischten. Dann wurde es hell, Flammenzungen und öliger Rauch zischten
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