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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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durch die Löcher, prallten auf Mauern, stoben auseinander, waberten über die Gefallenen beider Seiten und verschmolzen Stein und Fleisch.
    »Runter in den Keller!«, schrie d er Leutnant. »Aufgang sichern!«
    Alles flog, sprang, stolperte und riss sich gegenseitig in das bereits brusthohe Wasser im Keller. Niemand spürte die Kälte.
    Der Leutnant rief nach Herbert, dem Melder. Doch den hatte es erwischt. Piontek reichte ihm mit weiß schimmernden Augäpfeln das Feldtelefon, und der Leutnant ri ss ihm mit steif gefrorenen Fingern den Hörer aus der Hand. Unendlich weit entfernt hörte er schwach die Stimme seines Vorgesetzten, dessen unerschütterliche Ruhe für ihn der blanke Hohn war.
    »Herr Hauptmann …«, keuchte er, und das Wasser tropfte von seinen Lippen auf den Hörer. »Nein, ni chts ist in Butter, nichts! Panzerangriff! Sind abgeschnitten! Können uns hier unmöglich halten!« Mit aller Kraft zwang er sich, ruhig zu bleiben. »Herr Hauptmann, können Sie nicht die versprochene Verstärkung zur Entlastung ansetzen? Die können ja nicht ewig so weiterschießen …« Ungläubig presste er den Hörer ans Ohr. »Was für ein Durchbruch? Was ist denn los bei Ihnen?«
    Die Verbindung riss ab. Die letzten Worte des Hauptmanns über einen rätselhaften russischen Durchbruch hatten ohnehin keine Hilfe in Aussicht gestellt, dennoch kam Hans die unterbrochene Leitung wie ein Todesurteil vor. Er wunderte sich über sich selbst, mit welcher Gelassenheit er es hinnahm. Eine Art pervertierte Neugier, wie wohl das Ende aussehen würde, war alles, was er empfand.
    Die Feuerzungen der Flammenwerferpanzer schossen durch die Löcher in den Wohnblock, fraßen sich die Stockwerke hinauf und hinunter und trieben auch den let zten versprengten deutschen Soldaten aus seinem Versteck. Wie lebende Fackeln stürzten die Männer von Mauerabsätzen, taumelten hinter Schuttbergen empor, wankten über das brennende Schlachtfeld, lodernde Uniformen von sich schleudernd.
    Die Soldaten rings um den Leutnant konnten das grauenvolle Sterben nicht sehen, nur hören.
    Ein Panzer brach krachend links neben ihnen durch die Kellerdecke. An der frischen Öffnung mahlte seine Kette auf der Stelle weiter und rief in Hans einen längst vergessen geglaubten Traum wieder wach. Man hörte bereits deutlich das Angriffsgeschrei der Russen.
    Er wies hustend, mit tränenden Augen auf eine Kelleröffnung in Richtung Wolga. »Los, raus hier! Überrollen lassen! Feindkontakt wenn möglich vermeiden! Allgemein südliche Richtung!«
    Die ersten Soldaten schlüpften ins Freie, unter ihnen auch Freitag, der dürre Russe, der allein deshalb, weil er sich von den Deutschen hatte gefangen nehmen lassen, nichts Gutes von seinen Landsleuten zu erwarten hatte. Bubi schnitt ihm mit einem Ruck die Fesseln durch, bevor er hinter den anderen unter der Führung Pionteks im Qualm verschwand.
    In das Angriffsgeschrei der Russen mischten sich plötzlich die Hilferufe eines Verwundeten. Er musste sich oben am Treppenabsatz befinden.
    »Einer von uns?«, fragte Hans.
    Gross nickte.
    Im Keller befanden sich nur noch der Leutnant, Gross, Rollo, Fritz und Bubi. Nicht noch einmal, hämmerte es in Hans’ Kopf. Er würde nicht noch einmal einen Verwundeten, den man möglicherweise noch retten konnte, opfern. Dieser Krieg würde ihm nicht nach Belieben seine Gesetze diktieren.
    »Gebt mir Feuerschutz.«
    »Spinnst du?«, schrie Fritz. »Raus hier!«
    Er wollte den anderen hinterher, aber Hans riss ihn am Arm zurück. »Du bleibst hier!«
    Fritz wollte etwas erwidern, doch Hans kletterte bereits die Treppe nach oben.
    Rollo rammte mit wilden Augen und gefletschten Zähnen ein neues Magazin in den Schaft seiner russischen MPi. War doch scheißegal, wann man verreckte. Vielleicht war es am besten sofort. Beiläufig schwenkte er den Lauf in Fritz’ Richtung und ließ ihn leicht nach oben wippen. »Los Dicker! Ist dein Freund!«
    Sie stürmten hinter dem Leutnant wieder nach oben. Auch Bubi und Gross schlossen sich ihnen an. Ihre Füße kannten bereits den Weg.
    Niemand kümmerte sich mehr um Sascha, der auf einigen zerhackten, aus dem Wasser ragenden Rohren wie in einem Vogelnest hockte. Mechanisch begann er seine viel zu großen Stiefel mit dem Ärmel seiner viel zu großen Jacke zu putzen. In seinen Gedanken herrschte ein tiefer, sonderbarer Friede.

 
     
     
     
     
     
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    A ls die Männer den Treppenabsatz erreichten, durchbrach vor ihnen ein Flammenwerferpanzer das

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