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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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ich anfing zu essen, brauchte ich nicht mehr auf Hukkas Anrufe zu reagieren, nicht zu überlegen, ob ich antworten sollte oder nicht, und kein schlechtes Gewissen zu haben, weil ich nicht antwortete. Mit der Zeit wurde ein Anruf fast zum Befehl, ein Essritual zu beginnen, auch wenn ich vor dem Anruf gar nicht daran gedacht hatte.
    Wenn ich in der Backwarenabteilung stand, wusste ich in diesem Moment alles, was nötig war. Falls ich vorhaben sollte, Weißbrot zu nehmen, mussten es zwei Laibe sein, bei Roggenbrot würde dagegen einer genügen, ebenso bei Baguette, weil ich Roggenbrot und Baguette nur mit Salzigem belegen oder mit Landbutter bestreichen würde, für Weißbrot dagegen brauchte ich eines für Aufschnitt und Käse, das andere für süßen Brotaufstrich. Weißbrot musste ich immer in Landbutter aufbacken, sodass es knusprig-knisterig-duftig wurde. Darauf Orangenmarmelade oder nur Zucker, oder aber Mayonnaise, Rahmkäse und Mettwurst. Mit gespannter Erwartung ging ich weiter zum Keksregal, um nachzusehen, was sich dort Spannendes finden würde. Als Vorspeise natürlich Eis.
    Hukka wusste sehr wohl, worum es sich handelte. Wir sprachen sogar darüber. Ich leugnete die Tatsachen nicht. Aber was machte das schon? Wenn ich manchmal deshalb nicht zu einer Verabredung erschien, weil meine Essorgie noch nicht zu Ende war. Nicht, dass ich Hukka nicht hätte sehen wollen. Das wollte ich doch, und zwar sehr. Ich wollte neben Hukka schlafen, Hukkas Arm unter meinem Nacken und unsere Beine ineinander verschränkt. Ich wollte morgens die Butterbrote essen, die Hukka gemacht hatte, und wonnige Küsse mit Hukka tauschen, die nach Meer und Liebe schmeckten. Ich wollte nur nicht dieselben Fragen hören, immer wieder dieselben, denn die unterbrachen über kurz oder lang alles Herrliche, und für jeden Schwall Fragenbenötigte ich genügend Toastbrot und Orangenmarmelade, um wieder zu Hukka zurückkehren zu können, und ausreichend Strohkartoffeln mit Mayonnaise, damit die Spannung in meiner Brust nachließ, sich in Crème fraîche auflöste.
    Von all diesen Lebensmitteln brauchte ich immer größere Mengen und immer häufiger. Mit dem Erbrechen musste ich immer sorgfältiger sein, denn Fastenzeiten, um mein Gewicht auszugleichen oder abzunehmen, gab es eigentlich nicht mehr. Nichts durfte drinbleiben. Wenn ich das seltener gemacht hätte, nur dann und wann, weil ich ohnehin eine akute anorektische Phase hatte, wäre es nicht so genau darauf angekommen. Aber bei Hukka aß ich trotzdem und hielt das Essen im Magen gefangen.
    Für den Fall von Heißhungerattacken hatte ich jetzt immer eine Tüte Lakritze bei mir. Die aß ich als Erstes und wusste beim Erbrechen des Essens, wann alles heraus war, denn das zeigte ein pechschwarzer Streifen, der als Letztes hochkam. Bei der Reihenfolge der Speisen musste ich penibel sein. Ich musste mich an die Farben erinnern, um zu wissen, wie weit ich war. Um nicht die Orientierung zu verlieren und bei der Reihenfolge des Erbrochenen durcheinanderzukommen.

1949
    Am Nachmittag kommt Karla zum Haus seines Bruders, sieht Sofia auf dem Hof und bleibt quasi überrascht stehen, geht dann auf sie zu und fragt, ob sie in der Nacht keinen Besuch bekommen hätten? Sofia verneint. Na, wenn nicht, sinniert Karla, dann sei es gut. In diesem Moment kommt Arnold auf den Hof. Sofia erschrickt, aber Arnold tut so, als wäre er niemals im Wald gewesen und würde niemals dorthin zurückkehren. Karla schlägt seinem Bruder auf die Schulter. Es sei so schön zu sehen, dass es Arnold gut geht und er gesund ist! Obwohl ja klar war, dass der ein starker Mann und nicht so leicht fertigzumachen und zu schnappen ist.
    Warum sollte man mich schnappen, lieber Bruder?, fragt Arnold und zieht ruhig an seinem Glimmstängel.
    Nur so allgemein. Unsichere Zeiten und so weiter.
    Ob der Bruder auch etwas auf dem Herzen habe?
    Karla ist gekommen, um Sofia mitzunehmen, aber jetzt, da Arnold da ist, könne Arnold zum Teilen der Beute mitkommen, es sei besser, wenn ihm ein Mann dabei helfe. Es sei eilig. Sie müssten den Pferdewagen nehmen, worauf Arnold denn noch warte! Es gehe ins Nachbardorf. Dort sei ein Geschäft, dessen Besitzer samt Familie abgeholt worden ist und deren Vorratslager noch von niemandem geleert worden sind, der Kaufmann selbst habe nichts verstanden, der Dummkopf, er hätte rechtzeitig alles zum halben Preis verkaufen oder wenigstens Gold dagegen eintauschen sollen, ein dummer Lohn für einen dummen Mann. Dort

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