Stalins Kühe
ich zu Hause ankam, war auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht. Sie war von Hukka.
Warum hatte ich mich wieder verstellen müssen? Ob ich denn wirklich glaube, Hukka bemerke das nicht? Ich musste einen Schlussstrich ziehen!
Ich musste Hukka verlassen.
Ich wusste noch nicht, wann und wie.
Ich wusste nur, dass das sicher war.
1949
An dem Tag, der auf die Verschleppungsnacht im März folgt, zieht Karlas Tochter in das Haus von Miili Berg. Öffnet einfach die Tür, tritt ein und wohnt von da an dort. Auf dem Tisch steht noch das Essen. Karlas Tochter setzt sich hin und frühstückt. Das fertige Butterbrot ist noch nicht hart geworden, weil es so dick mit Butter bestrichen ist. Der Frühling kündigt sich schon an, Luft und Boden duften. Der Herd ist warm, darüber trocknet Miilis Hemd, der Kaffee ist lauwarm, durchaus trinkbar, Milch findet sich im Kaltraum. Mit dem Glas Milch und dem Butterbrot in den Händen begibt Karlas Tochter sich auf einen Rundgang durch ihr neues Zuhause, obwohl sie ohnehin weiß, wo was steht, hat sie doch ihre ganze Kindheit lang in dem Haus gespielt. Miilis lange Haare finden sich im Kamm und auf dem Gänsedaunenkissen, wo der Abdruck ihres Kopfes noch zu sehen ist. Das Fräulein würde keine Sorgen mehr haben wegen seiner zu langen Haare, die würden nicht mehr lange am Kopf bleiben, und der Kopf würde zumindest nicht samt Haaren hierher zurückkehren. Ach, wie schade, das Fräulein hat seine Krone verloren. Sie muss direkt lachen. Schöne Spitzen hat Miili an den Rand ihres Kissenbezugs genäht. Und das Haus ist erst kürzlich geputzt worden. Gut, dass sie nicht in ein schmutziges Haus einzuziehen braucht.
Miili Bergs Tochter hat dieselbe Größe wie Karlas Tochter. Sie beschließt, Miilis Lieblingskleid bei der Stallarbeit zu tragen. Gleich muss sie auch die Kühe melken gehen.
HUKKA
SCHLUG
MIR vor vor, es mit anderen zu versuchen. Wenn wir in der Kneipe saßen, einen Spaziergang machten, Wattestäbchen in der Drogerie kauften und am Fenster eine Person vorbeiging, von der Hukka sich vorstellte, sie könnte nach meinem Geschmack sein, fragte Hukka, ob die nicht etwas für mich wäre. Leichthin, beiläufig. Wie ich diese Person dort fände. Oder ob mir die Hochgewachsene dort besser gefiele?
Aber ich wollte niemand anders. Obwohl es diese anderen gab, wollte ich sie nicht! Ich musste einfach. Das war etwas anderes.
Hukka sagte, das mache gar nichts, geh nur. Nimm dir, was du willst. Wenn du nur hinterher erzählst. Oder lieber vorher, damit ich zusehen kann.
Ich will keine anderen! Warum machst du mir dauernd solche Vorschläge?
Ich sagte, wenn ich mit jemandem wolle, dann mit Hukka, nur mit Hukka. Nein, ich möchte keinen Gruppensex, niemanden sonst.
Hukka fand, es sei ein allzu deutlicher Zusammenfall, dass mir die Lust vergangen war, kurz nachdem wir uns kennengelernt hatten. Dass man daraus nicht sehr viele verschiedene Schlüsse ziehen könne. Es musste an Hukka liegen.
Wie hätte ich Hukka begreiflich machen können, dass ich anfangs nur deshalb wollte, weil ich Hukka so wenig kannte. Dass ich Hukka jetzt schon zu gut kannte. Ich schlief nur mit Leuten, die mir nicht nahekamen.
Darüber lachte Hukka, als hätte ich etwas ungeheuer Komisches gesagt. Aber es war überhaupt nicht komisch, es waren kalte Knochen, es war heiße Haut, es waren schwarz gewordene Herzen und kribbelnde Glieder. Bei jedem Schritt, den Hukka näher kam, nahm ich flüchtend ein weiteres Kilo ab, obwohl ich gleichzeitig so erstarrt war, dass ich keinen Fuß vor den anderen setzen konnte. Ich konnte nur weiter abnehmen, flüchten, fort. Nein, du wirst mich niemals fassen, nicht du und auch sonst niemand, ich werde es niemals jemandem erlauben, mich zu fassen, obwohl diese Versteinerung tatsächlich den Wunsch bedeuten könnte, endlich einmal hierzubleiben, vor dir, sodass du dich mir annähern, hier sein könntest … Nein! Wenn der Körper sich weigert zu gehorchen, bleibt nur eine Art der Bewegung: Kleinerwerden und Schrumpfen. Meine kiloweise Flucht ist der einzige Ausweg, wenn die Beine sich weigern fortzugehen.
ICH
HATTE
HUKKA gerne zugebilligt, sich anderen zuzuwenden. Mochte Hukka doch gehen, warum aber solche Vorschläge an meine Adresse? Es war doch nur richtig, wenn ich nicht wollte. Hukka behauptete, wenn ich so spreche, fühle sich das an wie ein Schlag, von dem man sich nicht erholen könne. Klarer könne ich gar nicht ausdrücken, wie wenig ich mir aus Hukka mache. Auch alle anderen
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