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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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die Pakete mitsamt dem Inhalt ans Ziel.
    Vor der neuen Ernte sind kaum Kartoffeln zu haben – wenn jemand welche hat, will er sie nicht verkaufen. Kiisa und Leeve gehen und fragen die Einheimischen, neben deren Hütten es anscheinend ein Fleckchen Kartoffelacker gibt, ob sie irgendetwas zu verkaufen haben. Die alte Frau in der nächstgelegenen Hütte kann kein Russisch, versteht jedoch, was den Frauen fehlt, und bringt ihnen einen Spaten, grabt euch damit welche aus. Der Boden ist nur an wenigen Stellen nicht gefroren. Das Kartoffelfeld ist nach der Ernteim Herbst nicht gepflügt worden, sondern noch in demselben Zustand wie damals. Bei genauerer Betrachtung erweist sich, dass es sich mit den anderen Feldern genauso verhält. An den aufgetauten Stellen findet Leeve Kartoffeln, die erfroren, aber nicht verfault sind. Bei der nächsten Ernte stellt sich heraus, warum so viele Kartoffeln im Boden geblieben sind. Das Trinkgelage am ersten Tag der Kartoffelernte haben die Menschen noch überstanden, aber am Abend des zweiten Tages brachte der Wodka einen Teil der Leute unter den Tisch. Da niemand mehr aufrecht zu sitzen vermochte, konnten am nächsten Tag keine Kartoffeln mehr geerntet werden, sondern wurden im Boden gelassen, weil irgendwann auch die Tiere versorgt werden mussten, die mehrere Tage lang sich selbst überlassen gewesen waren. Während der Kartoffelernte durfte niemand anders auf die Äcker, aber an den erfrorenen Kartoffeln hatten die Einheimischen im Frühjahr kein Interesse mehr.
    Die alte Frau bedeutet Kiisa und Leeve, hereinzukommen. Die Hütte hat einen dichten Bretterfußboden, aber in dem Raum steht keine einzige Bank, kein Stuhl und kein Tisch, keinerlei Möbel, nur auf dem Fußboden liegt etwas, das aussieht wie ein Stück Leder, auf dem gekochte Kartoffeln dampfen. Zwei becherartige Schüsseln enthalten eine graue Flüssigkeit. Die alte Frau fordert Kiisa und Leeve auf, sich zu setzen, setzt sich dazu, aber da sie nicht an der Mahlzeit teilnimmt, kann man sich von ihr nicht abgucken, wie man diese Kartoffeln eigentlich essen soll. Löffel oder Gabeln gibt es nicht. Leeve nimmt zur Probe eine Kartoffel in die Hand und tunkt sie in die Schüssel, aber eine Soße ist das nicht, denn es fehlt der geringste Geschmack. Kiisa und Leeve essen die gekochten Kartoffeln und nehmen die erfrorenen, die sie ausgegraben haben, mit; dafür gibt Kiisa der alten Frau ihr Hemd. Die Kartoffeln raspeln sie, fügen Gras hinzu und braten sie in Lebertran zu Puffern. Auch Mehl bekommt man aus den Kartoffeln.

    Kiisas Lackschuhe mit den hohen Absätzen gehen später gegen Kartoffeln an die Frau des Kommandanten, und offensichtlich sind es die ersten dieser Art in ihrem Leben, denn sie geht – eine richtige Dame – in ihren Hackenschuhen den ganzen Juni auf der Dorfstraße auf und ab, viele, viele Male am Tag. Die Tochter des Kommandanten heiratet in Kiisas Nachthemd, und in Leeves Nachthemd stolziert die Frau des Kommandanten Arm in Arm mit ihrer Tochter umher, und die beiden spielen mit vereinten Kräften feine Dame. Manchmal beteiligt sich auch die zweite Tochter in Leeves Unterrock an der Angeberei, und die Töchter spazieren untergehakt hinter ihrer Mutter her.

ICH
BRACH
MEIN Studium ab. Natürlich. Wie sollte es in meinem Leben Platz haben? Oder was würde es meinem Leben geben können? Alles Mist. Einige Sätze ließen mich innehalten. Virginia Woolf war eine kluge Frau, denn sie sagte, der Mensch könne nicht gut denken, wenn er nicht gut isst, schläft und liebt. Und Sylvia Plath, weil sie über die Münchener Mannequins schrieb: »Perfection is terrible, it cannot have children.« Alles außerhalb der Universitätsmensa war mir gleichgültig. Meine interessantesten Entdeckungen in der Akademischen Buchhandlung waren die Kochbücher.
    Meine Studienbeihilfe wurde gestrichen. Ein Studiendarlehen bekam ich nicht.
    Wenn mich jemand fragte, was ich studiert hatte, wusste ich es nicht mehr. Irgendetwas war es gewesen.
    Mutter erzählte ich das nicht.
    Und Vati auch nicht.
    Sie würden verstehen, dass sie das nichts anging.
    Und in einer solchen Situation konnte ich nichts anderes tun als essen.
    Das Arbeitslosentagegeld war größer als die Studienbeihilfe, und ich bekam dafür mehr Lebensmittel und Schnaps und ab und zu ein paar Lines.
    Mutter hatte sich für mich zwar immer einen ordentlichen Beruf gewünscht, wie man ihn erlangt, wenn man die Schule abschließt, egal welche, wenn es nur nicht die Schule

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