Stalins Kühe
als genug Beweismaterial, und wir werden ihn zur Verantwortung ziehen für die Verbrechen, die er gegen die Sowjetmacht begangen hat. Und wissen Sie, was mit den Verbrechern und Staatsfeinden gemacht wird? Sie werden hingerichtet. Da gibt es keine Alternative. In leichteren Fällen kann das traditionelle Urteil 25 + 5 ausgesprochen werden, das wissen Sie doch? In ganz leichten Fällen können wir uns sogar mit zehn Jahren begnügen. Zehn Jahre sindnichts. Sie bekommen Ihren Bruder in zehn Jahren aus Sibirien zurück. Dann ist er noch immer ein junger Mann. Er braucht sich nur zu ergeben. Wir kriegen ihn auf jeden Fall. Das Leben Ihres Bruders liegt in Ihrer Hand, Sie verstehen doch, indem Sie uns sagen, wo sein Unterstand –
Sie wissen es nicht? Aber wenn Sie es nicht wissen, weiß es jemand anders, oder? Irgendjemand hilft ihm. Und Sie müssen jetzt nur herausfinden, wer dieser Jemand ist. Seiner Schwester vertrauen die Leute. Ihr Bruder wird nicht hingerichtet, wenn wir ihn rechtzeitig fassen. Sie verstehen doch? Alles hängt von Ihnen ab.
Sofia wird wegen Elmer viele Male verhört, aber Sofia weiß niemals etwas. Manchmal wird Sofia befohlen, die Kinder mitzubringen, und die kleinen Mädchen werden für die Zeit, da Sofia verhört wird, den Männern des NKWD übergeben. Manchmal weint eines der beiden Mädchen.
ICH
HATTE
ZU Hukka gesagt, ich mache eine kleine Zigarettenbeschaffungsfahrt nach Tallinn. Einen Karton, der in Finnland zweihundertvierzig Mark kostete, bekam man auf dem Schiff für nur siebzig Mark, das lohnte sich natürlich, und na klar, ich hatte Hukka doch schon versprochen, Bier mitzubringen, wenn Hukka nur das Taxi vom Hafen bezahlte, sonst könnte ich es nicht tragen, und ja, ich würde auch irgendwo Calvin Klein auftreiben. Ja, ja, die größere Flasche. Küsschen! Und dann eilte ich zum Schiff.
Es waren ja viele, die kurze Urlaubsreisen nach Tallinn machten. Daran war nichts Verwunderliches! Als ich sagte, ich würde zum Friseur und zur Kosmetikerin gehen, wie auch die anderen Finnen, vielleicht auch zur Pediküre, klang das in Hukkas Ohren genug nach einer echten finnischen Touristin? Ein Besuch beim Friseur war das Mindeste, um als normale finnische Touristin zu gelten.
… die Friseurin holt aus dem Hinterzimmer einen Eimer Wasser und gießt es mir über den Kopf, um das Shampoo auszuspülen … Mutter erinnert sich, wie sie ihrer Frisur mit Bier Halt verlieh … Bürsten, Haarnadeln – acht Kopeken das Bund – und Spiegel sind auf der Ladentheke immer vorrätig, auch wenn es nichts anderes gibt … Es finden sich viele Sorten Eau de Toilette, auch wenn es den Lippenstift nur in dem allergrellsten Ton gibt und die einzige Farbe des Lidstifts helles Violett ist … Alle Flächen sind matt, und nichts glänzt … Die kleingeblümten Kittel der unangenehmen Verkäuferinnen, die Kittelschürzen …
Aber wenn ich die Grenze überschritten hatte, wollte ich nicht wie eine Finnin aussehen. Ich mied die Klassiker der finnischen Touristen, den Markt von Mustamäe, die Markthalle und Restaurants, die mit finnischen Texten und Wegweisern lockten. Ich mied die Autos mit finnischen Kennzeichen und finnische Touristenbusse und suchte die Einkaufstasche heraus, die ich von Mutter mitgenommen hatte und auf der die Jahreszahl ’80 und Segelboote zur Erinnerung an die Segelolympiade von 1980 in Tallinn prangten. Ich suchte die abgenutzte Lederbörse heraus, eine traditionelle estnische Handarbeit aus dem Jahr 1984. So bekam ich die für Esten bestimmten Preise anstelle der für die Ausländer, obwohl ich ein hölzernes Estnisch sprach. Das genügte für die Maskierung.
… die finnischen Touristen werden in die Berjoska-Valutageschäfte geführt, wo es alles gibt, aber nur für Valuta … Im Notfall kaufen wir dort Bonbons für die Kinder oder Kaffee … Dort ist es fast ebenso kühl wie in den finnischen Geschäften, vermutlich gibt es eine Ventilation, oder es liegt einfach daran, dass dort nur wenige Menschen sind … Der Moskauer Berjoska-Laden ist voll von Bernstein und kunstvoll bemalten Miniaturkästchen … Französische Parfums bekommen wir woanders, als Bückware, in Rubeln sind sie lächerlich billig. In den Rubel-Geschäften könnte man sie gar nicht anbieten, es wäre unmöglich, den Ansturm der Volksmassen in den Griff zu bekommen …
Jetzt trug ich meine eigenen Kleider, dieselben wie in Finnland. Die zu mir gehörten. Und auch die Haare so, wie ich sie jenseits der
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