Stalins Kühe
kochen, und auch das nur widerwillig, denn aus mir sollte keine Kaffeeköchin werden. Wenn Mutter Essen kochte, machte ich Schulaufgaben, wenn Mutter abwusch, machte ich Schulaufgaben, wenn Mutter Erbsen pulte, machte ich Schulaufgaben, übte meine Klavierstücke oder erledigte sonst irgendwelche Aufgaben, wenn ich nur in der Küche nichts tat, was darauf hätte abzielen können, dass aus mir jemandes Köchin wurde. Neinnein, nicht aus unserer Anna! Die Einzige, die in unserem Haus Essen machen durfte, war Mutter. Vati kochte schlecht Kartoffeln und spülte das Spülmittel nicht vom Geschirr ab. Anna würde nicht zu früh anfangen, Vater, Mutter, Kind zu spielen. Zu früh war auch, als ich vierundzwanzig war.Immer war es zu früh, um Vater, Mutter, Kind zu spielen. Unsere Anna wird für niemanden und nichts das Hausmädchen spielen. Niemand wird unsere Anna erobern, unsere Anna wird selbst die ganze Welt erobern.
NACHDEM
MUTTER
MEINEN gefährlichen Zustand erkannt hatte, kam sie mich in kurzen Abständen besuchen. Es gab jedoch zu viele Dinge, die ich vor Mutter verstecken musste. Ich war gar nicht imstande, so zu putzen, dass alles unsichtbar wurde, und noch dazu so oft. Mutter fand, dass die Menge der zweifelhaften Dinge ständig zunahm. Hatte früher ein kleiner abschließbarer Schrank genügt, musste ich jetzt meine Sachen auf mehrere Adressen verteilen, und trotzdem blieb Beweismaterial übrig, aus dem Mutter ihre Schlussfolgerungen zog und Beschuldigungen erhob.
Mutter konfiszierte meine schwarze und rote Bettwäsche, die ich gekauft hatte und jetzt statt der mit den Affen und Pinguinen benutzte, die ich von Mutter bekommen hatte. Als sie sie in die Tasche stopfte, sagte ich ihr, sie solle sie nur hierlassen. Ich konnte nicht glauben, dass ich sie zurückbekommen würde. Mutter weigerte sich, weil sie sie, wie sie sagte, besser waschen konnte. Deswegen musste sie sie unbedingt mitnehmen. Außerdem war sie nicht blind. Angeblich. Sie wusste Bescheid. Darüber, was ich so trieb.
Aber Mutter wusste es nicht. Mutter glaubte, dass die Männer mich aushielten und ich für sie kochte und mit ihnen schlief. Das hatten wir ja in den Genen. Mutter glaubte das.
Schwarz-rote Bettwäsche ist die Bettwäsche einer Hure.
Meine Kleider waren die Kleider einer Hure. Anstößig. Sinnlich. Zu viel Rot.
Ob der Halsausschnitt meiner Bluse nicht etwas kleiner sein konnte?
Mutter nahm auch die Kerzen mit, weil ich ihrer Meinung nach nicht richtig mit ihnen umgehen konnte. Ich steckte die Kerzen nicht in richtige Kerzenständer. Eine hatte ich auf den Fernseher gestellt, was ich normalerweise nicht tue, und sie dort vergessen. Mutter hatte auf den Fernseher einen Zettel gelegt, auf dem stand, hier keine Kerzen und auch keine anderen Sachen ablegen. Alles an mir war zweifelhaft, und das machte mich verantwortungslos und unfähig, mich um mich selbst oder um meine Wohnung zu kümmern.
Ein roter Lampenschirm und Kerzen. Ganz offenkundig zweifelhaft.
Zigarettenkrümel auf dem Tisch. Ganz offenkundig Haschisch.
Ganz offenkundig eine kranke, rauschgiftsüchtige Hure, die Hilfe braucht.
Nach einem Besuch von Mutter war der Kühlschrank immer voll. Viele Liter Milch – so als könnte ich eine derartige Menge eines Getränks mit so kurzem Verfallsdatum trinken. Jedenfalls nicht, ohne zu erbrechen. Das Tiefkühlfach war voll. Der Küchenschrank war voll. Die alten Koffer unter dem Bett waren voll. Mutter hatte alles vollgestopft. Mit sicheren Lebensmitteln wie Tütensuppen, Tomatenmark und Kaffee, aber auch mit sehr viel anderem: Schokolade, Kuchen, Obstkuchen, Pasta. Ich war ja so mager, dass sie meine Küchenschränke füllen und einfach hoffen musste, dass ich damit nicht fremde Menschen fütterte.
Anna hat eine schwere Essstörung, sagte Mutter zu Vati.
Sie sieht doch ganz wohl aus. Und futtert ständig, antwortete Vati.
MANCHMAL
GING
ICH fort, zu einer Freundin, wenn Mutter kam. Ich konnte es nicht mit ansehen, wie sie überall herumstöberte. Ich konnte sie auch nicht am Kommen hindern – die Wohnung gehörte ja ihr. Oder eigentlich gehörte sie Vati, aber da ich ihn bei keinem Namen nannte und mit keinem Wort bezeichnete, sprach ich statt von Vati immer von Mutter, auch wenn ich sie beide meinte. Ich kehrte erst nach Hause zurück, wenn Mutter fort war. Ich rief meine eigene Telefonnummer an, bis sich niemand mehr meldete. Wenn sie sich meldete, legte ich auf. Mutter ging immer ans Telefon, wenn sie da war.
Obwohl
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