Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
Vom Netzwerk:
abschätzend und hasserfüllt an.
    Die Frau da trägt so einen Lederrock, wie Vati ihn einmal bei Seppälä gekauft hat. Nicht genau denselben, aber fast!
    Es passte Vati überhaupt nicht, dass wir in sein Hotel gekommen waren. Er stürmte viele Meter vor uns her und war wütend. Mutter hatte aus purer Bosheit verlangt, das Hotel zu sehen, weil sie wusste, dass Vati uns dort nicht haben wollte. Aber natürlich nutzten wir es in Moskau als Stützpunkt, denn das Hotel National befand sich in bester Lage gegenüber dem Kreml am Rand des Roten Platzes.
    Die Tür von Vatis Zimmer war verschlossen, und Vati sagte, er habe den Schlüssel jetzt nicht mit. Mutter schlug vor, dass wir uns an die Etagenaufsicht wenden könnten, aber Vati ging schon die Treppen hinunter und hinaus und erwartete uns hundert Meter vom Hotel entfernt.
    Ich dachte, Mutter habe schlecht abgeschnitten.
    Aber so war es nicht. Mutter wusste sehr wohl, dass die Ehefrauen von allzu vielen Männern mit den Kindern auf und davon gegangen waren oder das Schloss der Haustür ausgewechselt hatten, sodass der Schlüssel des Mannes nicht mehr passte, wenn er nach Hause kam. Mutter wollte absichtlich die Umgebung der Adressen kennenlernen, die sie in Vatis Sachen gefunden hatte. Vati wurde nervös undwütend, durfte das aber nicht zeigen, Mutter lachte sich ins Fäustchen und befahl Vater, uns in die Oper auszuführen und sich in der Pause in die Schlange vor dem Büfett einzureihen, um für uns etwas zu essen zu holen, Pilzauflauf und Kaviar.

1953
    Stalin ist tot.

1954
    Aus der gemeinsamen Landwirtschaftsgesellschaft ist schon der Kolchos geworden, und es gibt im Dorf niemanden mehr, der nicht zum Kolchos gehört, aber jede Wirtschaft muss trotzdem das jährliche Soll an Getreide, Fleisch, Milch, Eiern und Schafwolle erfüllen – unabhängig davon, ob sie die Grundvoraussetzungen für die Erfüllung dieses Solls bietet, wie zum Beispiel Schafe, die die Wolle liefern. Die früheren Sollmengen waren für diejenigen, die nicht zur gemeinsamen Landwirtschaftsgesellschaft gehörten, bedeutend höher, jetzt sind sie reduziert und vereinheitlicht worden. Die Menschen hatten geglaubt, dass sie ganz abgeschafft würden, der Kolchos funktioniert ja auch so, es gibt niemanden, der rebelliert hätte, die Lage hat sich stabilisiert, und alle haben freiwillig ihr Eigentum abgegeben – außer der einen, gesetzlich vorgeschriebenen Kuh, dem einen Schaf und dem einen Schwein. Aber die Lage wird – entgegen den Versprechungen – immer verrückter. Auch das Kartoffelsoll muss erfüllt werden mit dem kleinen Gemüsegarten, der das Haus umgibt. Ebenso das Getreidesoll.
    Sofia sagt, für sie finde sich auch etwas anderes zu essen, und so teilt sie die Milch unter Arnold und den Kindern auf, ebenso Fleisch und Butter. Die Kinder brauchen Milch. Und der Mann braucht mehr Fleisch und Milch als sie. Sofia braucht das nicht. Für sie gibt es auch etwas anderes.
    Sofia muss ins Krankenhaus und bekommt Glukose direkt in die Ader.

    Die medizinische Kommission bewilligt Sofia die Befreiung von den schweren Kolchosarbeiten, zu leichten ist Sofia imstande. Die Befreiung bringt keine Erleichterung, weil Sofia dann auch nichts mehr hat, wovon sie etwas stehlen könnte. Denn das gelegentliche Flicken von Getreidesäcken bietet nichts, was sie sich ins Hemd schieben kann. Zum Glück wird Arnold beim Transport der vollen Getreidesäcke eingesetzt, sodass er seiner Familie im Stiefelschaft Mehl mitbringen kann. Die Kinder braucht Sofia tagsüber nicht mehr allein zu lassen so wie früher. Als Sofia gesagt hatte, sie könne nicht zur Waldarbeit eingeteilt werden, weil dann niemand zu Hause wäre, der für die Kinder sorgen könnte, hatte der Parteifunktionär befohlen, die Kinder für die Dauer der Arbeitszeit am Tischbein festzubinden. Und Sofia hat auch Zeit, Futter für die Kuh zu suchen, wofür leicht der ganze Tag draufgeht. Das ist unumgänglich, damit über das Soll hinaus etwas Milch auch im eigenen Hause bleibt. Wenn das Futter besser wäre, würde die Kuh mehr Milch geben. Das Recht, Futter zu kaufen, bekommt man gegen die in der Meierei abgelieferte Milch, aber deren Menge ist zu gering. Dasselbe Verfahren wird überall praktiziert – für ein nur knapp erfülltes Soll wird man mit der Reduzierung der Nahrung bestraft, wonach es gar nicht mehr möglich ist, zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Wenn man dagegen das Soll übererfüllt, wird es angehoben, bis man es nicht mehr erfüllen

Weitere Kostenlose Bücher