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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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Derselbe feuchte Geruch wie in allen anderen, mit Ziegeln verkleideten und mit Bohlentreppen ausgestatteten Holzhäusern von Haapsalu. Dieselben namenlosen Türen wie in allen anderen, von der Sowjetmacht geprägten Häusern. Die Unabhängigkeit hatkeine Familiennamen an die Wohnungstüren gebracht, über den Türen stehen nur die Nummern, so wie es in der Sowjetunion üblich war.
    Das Licht der Glühbirnen ist allerdings heller, die Wattzahl größer geworden. In der Diele ist es nicht mehr so dunkel. Die Klobrille ist nicht mehr aus undefinierbarem Kork, sondern weiß. Als Toilettenpapier dient nicht mehr die Prawda. Die Toilettenpapierhalter sind auch in den Cafés neu, sie enthalten jetzt Rollen, es gibt keine Kästen mehr, in denen zu Quadraten geschnittenes Zeitungspapier mit den Maßen zehn mal zehn liegt, aber die Dielenbretter sind dieselben geblieben, braun angestrichen. Ein Gas- und Holzherd, wie in fast allen Wohnungen, zwei Öfen, die Wärme verbreiten. Die Tante spricht einen ganzen Tag darüber, wie zufrieden sie ist, dass sie ihrem Sohn keine Wohnung in einem neuen Haus besorgt hat, sondern hier ganz in der Nachbarschaft, mit einem Holzherd und deshalb günstiger Heizung, mir ist nicht klar, ob es sich um Brennstoffgebühren oder darum handelt, dass ein bestimmtes Heizmaterial nicht zu bekommen ist, irgendwie so etwas. Ich kann nicht zuhören. Der Schwindel macht mich ruhig.
    Aus dem Hahn kommt immer noch Wasser von komischer Farbe. In meiner Klasse in Finnland war einmal ein Junge, der als Großer Reisender Wyborg und Moskau besucht hatte, und er erzählte mit lauter Stimme, dass das Wasser dort eine komische Farbe habe und dass man deshalb die Zähne mit Limonade putzen müsse. Davor war ich niemals auf den Gedanken gekommen, dass das Leitungswasser irgendwie seltsam gewesen wäre. Es war einfach so, und in Finnland war es anders.
    Ich könnte ausprobieren, ob auch fürchterlicher Durst so ähnlich ist wie fürchterlicher Hunger. Einige von uns praktizieren das ja, fürchterlichen Durst zusätzlich zu fürchterlichem Hunger. Aber dann muss man ganz sicher sein, dass das Wetter nicht noch wärmer wird, dass keine hochsommerlichen Temperaturen zu erwarten sind; damit würde der Flüssigkeitsverbrauch steigen, und wenn ich ohnehin schon ein Flüssigkeitsdefizit hätte, würde ich sehr bald ins Krankenhaus kommen, und ich glaube nicht recht, dass die dort verstehen würden, worum es sich in meinem Fall handelt, egal, ob ich nun ehrlich war oder, wie gewöhnlich, schwindelte. Nur die auf uns spezialisierten Ärzte wissen, worum es geht – hoffentlich … Obwohl Hukka sagen würde, eine solche Ansicht zeuge mal wieder von der für uns typischen Arroganz.
    Hukka hat versagt.
    Eine einfache Aufgabe, so enorm einfach.
    Und Hukka hat versagt, das schwache Wesen.
    Warum sollte ich Hukka dann überhaupt anrufen?
    Mein alter Liebhaber ist stärker als alle.
    Verflixt, dass er mich aber auch so total, so total und vollkommen in Beschlag nimmt! Er zaubert auf meine Haut kleine Sommersprossen und geplatzte Äderchen, manchmal plötzliche Pickel und an meinen Hals blaue Knutschflecke wie bei einem schlimmen Teenie-Mädchen, er entzieht meinem Körper das Kalium und lässt mein Herz erzittern, weiß und von derselben Farbe wie das Papier, aus dem die Haut meiner Wangen besteht, und vor Trockenheit rascheln, inmitten verwirrter Hormone und solcher exotischen Wörter wie Amenorrhöe und Lanugo.
    Mutter hat mich hierher zur Tante gebracht. Sie meint, es würde mir guttun, mich auszuruhen, und zwar gerade hier in Haapsalu, wo ich seit meiner Kindheit nicht gewesen bin, nicht nach der Unabhängigkeit und auch davor schon lange nicht mehr, denn ich bleibe auf meinen Reisen in Tallinn.
    Die Tante lässt mich weder Hukka noch sonst jemanden anrufen. Ich habe keine Kraft zu widersprechen. Wenn ichdas überhaupt wollte. Ich liege im Wohnzimmer auf dem Sofa inmitten alter Zeitungen, denn ich habe nichts zu lesen mit und hätte auch gar nicht die Kraft dazu. Medikamente und Schminktasche habe ich mit, aber nichts anderes.
    Ich konzentriere mich darauf, Kaffee zu trinken und fünfundvierzig Kilo zu wiegen. Mutter versteht nicht recht, worum es geht, obwohl sie den Namen der Krankheit kennt. Und ich sage nichts. Und es ist ja nicht so, dass irgendetwas nicht stimmte. Anna ist nur ein wenig müde. Nichts weiter. Das liegt sicherlich an der falschen Gesellschaft. Nach Mutters Meinung ist jeder Mensch in meiner Umgebung die falsche

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