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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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ich habe keine Kopfschmerzen. Das hatte ich nicht behauptet. Hukka hatte sich verhört. Jedenfalls nicht mehr.
    Hukka wollte, dass ich dieses Spiel beende und geradeheraus sagte, dass ich nervös geworden war, weil man mir nichts angeboten hatte.
    Aber so war es gar nicht!
    Hukka lachte und sagte, ich solle es gar nicht erst versuchen. Ich wolle einen Hamburger. Nimm den da.
    Nein!
    Jetzt wurde ich erst richtig wütend. Weil Hukka recht gehabt hatte. Nur würde ich das niemals zugeben. In den Händen juckte es mich von der Unruhe, die einem Schlag vorausging, den ich Hukka schon lange hätte versetzen wollen. Was für ein Recht hatte Hukka, zu essen und den zweiten Hamburger nicht der Partnerin zu geben. Aufgebracht nannte ich Hukka einen Geizhals und Knicker.
    Du solltest wenigstens ein bisschen essen. Irgendwann muss man das. Nur ein kleines Stückchen.
    Nein. Ich muss niemals essen.
    Vielleicht ja doch.

    Nein!
    Ich bemühte mich, meine Wut darüber zu zügeln, dass der zweite Hamburger gar nicht für mich bestimmt gewesen war. Hukka hatte tatsächlich vor, ihn ebenfalls zu essen. Einfach so. Was machte es schon, dass Hukka wusste, dass ich nicht bereit war, mir solchen Mist in den Mund zu stecken, das hatte mit der ganzen Sache hier nichts zu tun. Ich würde niemals zugeben, wie sehr es mich ärgerte, dass Hukka den zweiten Hamburger nicht für mich bestimmt hatte.
    Aber was, wenn … Hukkas Miene war verschlagen.
    Ein Bekannter von Hukka war auf einem Schiff gewesen und hatte eine richtig große, weiße Toblerone mitgebracht, so eine Tax-Free-Größe von vierhundert Gramm. Hukka wollte sie nicht essen, denn Hukka mochte keine weiße Schokolade, sie war nicht gut für die Zähne, aber irgendjemand musste sie ja essen, sonst würde sie über kurz oder lang verderben. Hukka schaute nach Hukka-Art unbekümmert drein. Ich könne sie mir auf der Stelle aus dem Schrank holen.
    Hör auf.
    Sollen wir sie dann in den Müll schmeißen?
    Nein!
    Möchtest du dann vielleicht etwas davon essen?
    Wenn ich sie esse, dann esse ich sie ganz auf.
    Ganz bekommst du sie nicht. Nur ein paar Stücke.
    Ich möchte nicht ein paar Stücke!
    Ich ging ans Fenster rauchen und zwang mich, ruhig stehen zu bleiben, damit ich nicht anfing zu zittern.
    Müssen wir sie wirklich in den Müll werfen? Stell dir nur mal vor, wie sie im Mund … nimm doch ein Stück und koste …
    Ich stimme zu, noch bevor ich mich selbst daran hindern kann.
    Aber weißt du was … es gibt sie gar nicht!
    Hukka wieherte vor Lachen und rülpste.

    Ich fing an zu weinen.
    Obwohl Weinen das Gesicht anschwellen und das Make-up verlaufen und die Augen zuschwellen lässt, hörte ich nicht auf, sondern wollte hinaus, fort, obwohl gleich hinter der Tür die Straße war und auf der Straße Menschen und sie alle mein Weinen und meine von dem Gezerre aufgelöste Frisur sehen würden, denn Hukka hatte versucht, mich zum Bleiben zu bewegen, sie würden den Rotz sehen, der mir über das Kinn rann, aber das hatte keine Bedeutung, das hatte überhaupt keine Bedeutung.
    Normalerweise hätte Hukka oder wer auch immer es geschafft, dass ich brav an meinem Platz blieb, wenn ich schon weinte, weil ich auf keinen Fall verweint und so offenkundig nackt hinausgehen und den anderen unter die Augen treten wollte. Aber jetzt schien es mir, das habe keine Bedeutung. Ich betrachtete mich selbst nicht von außen und kümmerte mich nicht um das verlaufene Kajal und den Rotz, der mir in den Blusenausschnitt lief. Meine roten Augen waren mir egal, vielmehr war ich bereit, so, wie ich war, hinauszurennen. Ich hatte nicht so viel Abstand von mir selbst, um mir sagen zu können, meine liebe Anna, so, wie du aussiehst, kannst du doch nicht auf die Straße gehen. So, dass man deinem Gesicht ansieht, was du empfunden hast. So etwas tut Anna nie.

ICH
STIEG
DIREKT in die morgenleere Straßenbahn, die zum Hafen fuhr, und im Hafen kletterte ich in den Katamaran, der mich nach Tallinn brachte. Ich hatte kein Gepäck mit. Nur eine Handtasche mit Taschenkalender, Zigaretten, Pass, Geldbörse und einer Puderdose, deren Spiegel wer weiß wo verloren gegangen war. Zwar haben viele Bekannte meine Handtaschen immer als Koffer bezeichnet, denn ich habe darin Nadeln, Garn, Sicherheitsnadeln, Pflaster, Taschentücher, Kugelschreiber, Teebeutel, Halspastillen, Kaugummi, Kopfschmerztabletten, Diapam, Seronil und Xanor, Hermesetas, ein Taschenmesser, alle möglichen Quittungen und Make-up für jeden Zweck … Mir war

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