Stalins Kühe
Die schönen Beine auf hohen Absätzen kommen und gehen, kommen auf einen Kaffee und eine Zigarette vorbei, die Knitterfrauen müssen zwischendurch herumsitzen, und dennoch ist keine einzige der Frauen, die sich bei der Ankunft von Anna und Mutter dort aufhalten, noch dort, wenn sie gehen. Sind die Knitterfrauen so hervorragende Spione, oder bezahlen sie dem Portier so viel, dass sie hereindürfen? Wie viel? In die Valutabar gelangen Einheimische nur als Gast und in Gesellschaft eines Ausländers. Anna möchte es wissen, fragt aber die Mutter nicht, weil Anna kein Kind ist, das Fragen stellt. Vielleicht bekommt sie es heraus, wenn sie die Frauen lange genug beobachtet.
Anna ist so klein, dass noch niemand kommt, um sie nach dem Preis zu fragen.
Der Milch-Mandarinen-Mix schmeckt gut.
Anna trägt hellblaue, bei Seppälä gekaufte Baumwollhosen, ein gestreiftes T-Shirt und eine Jeansjacke. Damit kommt sie überall rein.
1971
Wie war es dort eigentlich?
Toomas kehrt von einer Dreitagereise aus Finnland zurück. Er war so glücklich gewesen, ein von der Gewerkschaft erteiltes Touristenvisum zu bekommen.
Es lohnt sich nicht einmal zu fragen! Es ist still, die Autos surren nur vorüber, die Straßen sind so sauber, die Geschäfte voller Waren. Und im Hotel wurde Essen serviert, in dem die Kartoffeln die Farbe von Kartoffeln hatten! In die Stadt durften wir natürlich nicht allein, der Aufpasser war immer mit dabei, zur Stadtrundfahrt und zu politisch wichtigen Stellen wurden wir in der Gruppe gefahren, aber …
Und deren Margarine ist besser als unsere Butter!
Auf dem Rückweg herrschte auf dem Schiff schon die vertraute Stimmung, und die Kartoffeln waren wieder blau.
Die blauen Kartoffeln waren »Superkartoffeln«, mit Superphosphat gedüngt. Um die festgelegte Menge Kartoffeln zu bekommen, müssen sich die Kolchosen auf den Anbau von Superkartoffeln konzentrieren. Die Ernte ist reichlich, die Knollen sind groß, aber beim Kochen werden die Kartoffeln wässrig, übel riechend und beim Abkühlen blau. Und der Geschmack … In besseren Restaurants kann man den Leuten solche Kartoffeln nicht vorsetzen, und deshalb bemühen sich die Restaurants, von Privatbauern Kartoffeln zu bekommen, die mit Viehmist gedüngt worden sind. Das gibt Katariinas Mutter Sofia die Möglichkeit, für sich ein Fahrrad und für Katariina Schulgeld zu beschaffen, denn vondem Stipendium allein kann Katariina nicht leben. Sofia beginnt auf dem Stückchen Land am Haus Kartoffeln für den Verkauf anzubauen und hofft, es möge nicht gelingen, das Superphosphat zu verbessern oder stattdessen ein anderes zu entwickeln. Na, denen ist auch sonst nichts gelungen, warum dann der Dünger. Vene värk – russischer Murks bleibt russischer Murks.
1975
Voldemars Frau hat gegen die Wand des Wohnzimmers einen Tisch geschoben, auf dem alles ausgelegt ist, was Voldemar mitgebracht hat, angefangen bei den Fahrkarten und den in eine Reihe gelegten Quittungen. Am Ende der Reihe von Quittungen prangt eine Rolle Toilettenpapier, und alle gehen und fassen es an. Es ist geblümt! Man denke, blütenweiches und mit Blumenmuster bedrucktes Toilettenpapier! Katariina schämt sich, obwohl ihr Finne nicht da ist, um das zu sehen. Voldemars Frau bittet auch Katariina zu dem wie ein Altar aufgebauten Tisch, und Katariina kann ihr das nicht abschlagen.
Katariina, bleib doch nicht da an der Tür stehen, komm nur ganz mutig hierher, schau mal, dort sind Blumen auf dem Toilettenpapier, stell dir das mal vor!
Alle Bekannten sind eingeladen, Voldemars Mitbringsel zu bewundern und zu hören, wie es DORT war. Voldemar ist Turniertänzer und nimmt an Turnieren im Ausland teil, so richtig im Westen, nicht nur in den Ostblockländern. Ach, auch Voldemars Sohn möchte Sportler werden, damit er in den Westen fahren kann.
Katariina hat noch einen anderen Bekannten, der einmal nach Finnland fahren durfte, einen Sportler natürlich, Erik Brunmeister, estnischer Meister im Mittelstreckenlauf. Er hatte zwei Flaschen Schnaps mitgenommen, die ihm die Hotelputzfrau sofort abgekauft hatte, ebenso ein paar Zigaretten – solche Tipps hatte er von Leuten bekommen, die schon mal in Finnland gewesen waren. Auch, dass die Hotelputzfrau sofort komme. Auf dem Rückweg brachte Erik zwölf Nylonmäntel mit, die er übereinandergezogen hatte – er war ja ein großer und schlanker Mann. Die Zöllner haben nichts gemerkt, und Erik musste lachen.
Eriks Freund, Kaarel, hatte, da er stattlicher war,
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