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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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noch dazu mit ausgezeichneten Noten, und waren nicht Mitglied der Kommunistischen Partei?
    Können Sie erklären, wie das möglich ist?
    Wollten Sie niemals eintreten?
    Wie hat man auf Ihrer Arbeitsstelle darauf reagiert?
    Und dann Ihr eigener Vater, er gehörte doch dem Schutzkorps an, nicht wahr?
    Wie stehen Sie zur Tätigkeit Ihres Vaters?
    Wie wollen Sie zum Nutzen Ihres Landes tätig werden?
    Was hat Ihnen Ihr Vater über Estland in vorsowjetischer Zeit erzählt?
    Was sagen Ihre Eltern zu Ihrer Heirat?
    Und Ihre Freunde?

    Haben Sie keine Sehnsucht nach der Sowjetunion? Und nach Ihren Eltern, Verwandten und Freunden?
    Glauben Sie an Gott?
    Gehen Sie in die Kirche?
    Haben Sie zu Hause eine Bibel?
    Wer sind Ihre engsten Freunde? Nennen Sie sie namentlich.
    Wie halten Sie zu ihnen Kontakt?
    Warum haben Sie sich von Ihrem früheren Freund getrennt?
    Wer waren Ihre Kommilitonen?
    Haben Sie noch Kontakt zu ihnen?
    Worüber sprechen Sie, wenn Sie sich sehen? Sie erinnern sich doch sicherlich an irgendein interessantes Gespräch!
    Worüber haben Sie gesprochen, als Sie zuletzt einen Studienkameraden trafen?
    Ist irgendeiner davon öfter ins Ausland gereist?
    Was haben Sie Menschen, denen Sie begegnet sind, über die Sowjetunion erzählt?
    Ihr Vater gehörte dem Schutzkorps an, nicht wahr?
    Sie sind also die Tochter eines Angehörigen des Schutzkorps, nicht wahr?
    Wie lange war Ihr Vater beim Schutzkorps?
    Er war also ein Angehöriger des Schutzkorps, nicht wahr?
    Sie waren also von Anfang an Parteimitglied?
    Was für eine Tätigkeit übte der Komsomol aus, und wie haben Sie sich daran beteiligt?
    Ach, Sie waren nicht im Komsomol? Wie ist das möglich?
    Sie behaupten also, dass Sie als eine akademisch gebildete Person in relativ hoher Position nicht der Kommunistischen Partei angehörten?
    Und Ihre Kollegen? Die waren Parteimitglieder, ja? Was sagten die dazu, dass Sie nicht der Partei angehörten?

    Mutter war ruhig, spielte die Dumme und ging nicht darauf ein, als der Mann von der finnischen Sicherheitspolizei die Notwendigkeit weiterer Unterhaltungen andeutete, oder zumindest nicht darauf, dass die ihrem Wesen nach anders sein würden als diejenige, die sie gerade geführt hatten. Dennoch musste Mutter diese »Unterhaltungen« mit der Sicherheitspolizei noch Jahre nach ihrer Übersiedlung nach Finnland führen. Wieder und wieder dieselben Fragen, Stunde um Stunde. Die Sicherheitspolizei rief zu jeder Tages- und Nachtzeit an. Immer beschäftigte sie noch irgendein Detail, das geklärt werden musste, und Mutter erzählte zum tausendsten Mal, wie sie Vater kennengelernt hatte. Ja, im Restaurant … in dem Tanzrestaurant. Das habe ich schon erzählt … Ja, in dem Tanzrestaurant, er forderte mich zum Tanzen auf … Das Telefon klingelte um vier Uhr nachts, um neun Uhr abends, um sieben Uhr morgens, und immer dieselben Fragen.
    Ich lauschte diesen Telefongesprächen hinter der Tür mit einem Knoten im Herzen. Der Kunststofffußboden war kalt, das aus Tallinn mitgebrachte Flanellnachthemd warm. Mutter wird doch jetzt nicht fortgeschickt? Mit ihrem Visum darf sie doch noch bleiben? Mutter, sag ihnen die richtigen Antworten. Sag nichts Dummes. Reg dich nicht auf. Verlier nicht die Beherrschung, obwohl du darin ja ganz gut bist.
    Verlier sie auch dann nicht, wenn du diese Leute persönlich triffst. Lass uns ganz still und brav sein. Damit du den finnischen Pass und Arbeit bekommst. Dann ist auch Vati nicht böse.
    Mutter hatte erzählt, dass Vati verärgert war, weil Mutter nicht arbeitete und nicht die finnische Staatsangehörigkeit besaß. Oder vielleicht rührte Vaters Ärger nur daher, dass, wenn Mutter berufstätig gewesen wäre und einen finnischen Pass besessen hätte, niemand in Finnland etwas über Mutter zu fragen gehabt hätte und er lediglich die Frage nach Mutters Arbeitsstelle hätte beantworten müssen. Vielleicht hätteer dann mehr gesprochen. Weil er sich dann nicht vor den Reaktionen hätte in Acht nehmen müssen. Es wird ja wohl niemand über seine Liebste sprechen, wenn er befürchten muss, dass man sie als Hure beschimpft, dass man fragt, wo er die Mieze denn aufgegabelt habe und ob sie im Bett anschmiegsam sei. Vati muss tausend Mal in dieser Situation gewesen sein. Da vergeht einem das Reden. Da schämt man sich für seine Landsleute. Und da kann man sich wohl zugleich auch für die »von dort« Gekommene schämen.

AM
FERNSPRECHER
DARF man nicht sprechen.
    Und auch nicht im Haus.
    Pst, Anna, wir

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